Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
verdammte Traum wie das Band von neuem abspulen.
Sie lenkte das Motorrad mit einer Hand und griff mit der anderen in ihre Jacke, um den kleinen Kassettenrecorder zu öffnen. Sie drehte das Band um. »Sing schon, Typ!« sagte sie. Ihre Stimme kam ihr im Brausen des Winds dünn und schrill vor.
Was können wir schon wissen
Über JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN
Welche Erklärung kann uns weil retten?
Genau, den mochte sie besonders. Den hatte sie in Gun Barrel City gehört, als sie einschlief, während sie auf ihre Mutter wartete. Es war nicht der Text, der es ihr angetan hatte, sondern die Art, wie er sang; wie Bruce Springsteen ächzte er ins Mikrofon, daß es einem grad das Herz brechen konnte.
Irgendwie war das eine Art Hymne, diese Art von Sound, und Lestat sang nur für sie, und das Hämmern des Schlagzeugs ging ihr durch und durch.
»Okay, Typ, okay, du bist der einzige gottverdammte Tote, den ich kennenlernen muß, Lestat, sing weiter!«
Noch fünf Minuten bis St. Louis, und sie mußte plötzlich wieder an ihre Mutter denken, wie seltsam alles gewesen war, wie schlimm.
Baby Jenks hatte nicht einmal Killer oder Davis erzählt, warum sie nach Hause wollte, aber sie wußten es auch so, verstanden auch so.
Baby Jenks hatte nicht anders gekonnt, sie hatte ihre Eltern erwischen müssen, ehe die Fangzahnbande sich gen Westen aufmachte. Und nicht einmal jetzt bereute sie es. Von dem seltsamen Augenblick abgesehen, da ihre Mutter auf dem Fußboden lag und starb.
Baby Jenks hatte ihre Mutter immer gehaßt. In ihren Augen war ihre Mutter eine echte Närrin, wie sie Tag für Tag aus kleinen rosa Muscheln und Glasscherben Kruzifixe herstellte, die sie dann zum Flohmarkt von Gun Barrel City trug, um sie für zehn Dollar pro Stück zu verkaufen. Und potthäßlich waren diese Dinger mit ihrem kleinen, gekrümmten Glasperlenjesus mittendrauf.
Aber das war es nicht allein; alles, was ihre Mutter jemals getan hatte, war ihr ganz fürchterlich auf den Wecker gegangen. Daß sie zur Kirche ging, war schlimm genug, aber dann erst das Süßholzgeraspel mit den Leuten und wie sie gottergeben erduldete, daß ihr Mann Trinker war, und wie sie immer nur gut von allen sprach.
Baby Jenks kaufte ihr kein Wort ab. Sie lag meist auf dem Bett im Wohnwagen und überlegte: »Was hält diese Frau am Leben? Wann explodiert sie wie ein Päckchen Dynamit? Oder ist sie schlicht zu doof?« Die Mutter hatte vor Jahren aufgehört, Baby Jenks in die Augen zu blicken. Als Baby Jenks zwölf Jahre alt war, hatte sie einmal gesagt: »Du weißt doch, daß ich’s getrieben habe? Ich hoffe bei Gott, daß du dir nicht einbildest, ich sei noch immer Jungfrau.« Und ihre Mutter machte einfach die Schotten dicht, sah nur mit großen, leeren, dummen Augen fort, um sich dann wieder ihrer Arbeit zuzuwenden und summend wie stets ihre Muschelkruzifixe zu machen.
Einmal war so’n Stadtoberer auf dem Flohmarkt aufgetaucht und hatte ihrer Mutter gesagt, sie produziere wahre Volkskunst. »Sie halten dich zum Narren«, hatte BabyJenks gesagt. »Kapierst du das nicht? Sie haben doch keins dieser scheußlichen Dinger gekauft, oder? Weißt du, woran mich diese Dinger erinnern? Das will ich dir sagen. An große Ohrringe aus Kaugummiautomaten.«
Kein böses Wort. Nur das Hinhalten der anderen Wange. »Möchtest du Abendbrot, Liebling?«
Für Baby Jenks war das ein klarer Fall. Sie hatte sich früh in Dallas aufgemacht und hatte es in weniger als einer Stunde bis zum Cedar Creek Lake geschafft, und schon tauchte das vertraute Schild auf, das ihren lieben alten Heimatort ankündigte: WILLKOMMEN IN GUN BARREL CITY. WIR HALTEN SIE IN SCHUSS. Sie stellte ihre Harley hinter dem Wohnwagen ab. Es war niemand zu Hause, und sie haute sich erst einmal hin, Lestat in den Kopfhörern und das Dampfbügeleisen griffbereit an ihrer Seite. Wenn ihre Mutter reinkäme, würde sie sie damit wegputzen.
Dann war der Traum gekommen. Dabei war sie noch nicht einmal eingeschlafen. Es war, als würde Lestats Musik versickern, und plötzlich zog sie der Traum herunter und schnappte zu:
Sie war in einer sonnigen Lichtung bei einem Berg. Und diese beiden Zwillinge waren da, schöne Frauen mit weichgewelltem rotem Haar, und wie Engel knieten sie mit gefalteten Händen. Viele Leute waren anwesend, Leute in langen Gewändern, wie Leute aus der Bibel. Und Musik ertönte, ein unheimliches Trommeln und der traurige Klang eines Horns. Aber am schlimmsten war der Leichnam, der verbrannte
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