Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
zu verwirren, aber ich konnte mir nicht vorstellen, warum. Was wollte er von mir? Dann lächelte er sein schrecklich heiliges Lächeln.
Manchmal fuhr er mit Armands schwarzem Rennboot hinaus und ließ sich damit unter den Sternen im Colt treiben. Gabrielle begleitete ihn einmal, und ich war versucht, über die große Entfernung ihren vertraulichen und intimen Gesprächen zu lauschen. Aber ich habe es nicht getan. Es schien mir einfach nicht fair zu sein. Manchmal sagte er, er befürchte einen Gedächtnisverlust und daß er so plötzlich eintrete, daß er den Heimweg zu uns nicht mehr finden könne. Aber in der Vergangenheit hatte er solche Gedächtnis-Verluste immer nur als Folge eines Schmerzes erlitten, und jetzt war er doch so glücklich. Er wollte, daß wir wußten, daß er so glücklich war, bei uns allen zu sein.
Sie schienen da unten eine Art Übereinkunft getroffen zu haben, daß sie, gleichgültig, wohin sie gingen, immer wieder zurückkommen würden. Dies sollte das Ordenshaus sein, die Zufluchtstätte; nie wieder würde es so sein, wie es gewesen war.
Sie regelten eine Menge Dinge. Niemand sollte mehr neue Vampire erschaffen, und niemand sollte noch Bücher schreiben, obwohl sie natürlich wußten, daß ich genau das tat, daß ich stillschweigend alles über sie zusammentrug, was ich konnte, und daß ich nicht beabsichtigte, irgendwelche Regeln zu beachten, die mir von jemandem auferlegt wurden, und daß ich das nie getan hatte.
Sie waren erleichtert, daß der Vampir Lestat aus den Seiten der Zeitungen verschwunden, daß die Katastrophe beim Konzert vergessen war. Keine nachweisbaren Todesfälle, keine ernsthaften Verletzungen; alle waren großzügig abgefunden worden; die Band, die meinen Anteil an allen Einnahmen erhalten hatte, trat wieder unter ihrem alten Namen auf.
Und auch die Unruhen und die kurze Zeit der Wunder waren vergessen, wenn sie auch vielleicht nie befriedigend erklärt werden konnten.
Nein, keine Offenbarungen mehr, keine Anrufe zur Gestalt, keine Einmischungen mehr, so lautete ihr gemeinsames Gelübde; und bitte nur heimlich töten!
Immer wieder schärften sie dem verwirrten Daniel ein, daß man selbst in einem verderbten Großstadtdschungel wie Miami nicht vorsichtig genug mit den Überresten des Mahls umgehen konnte.
Ach, Miami. Ich hörte es wieder, das dumpfe Geheul so vieler verzweifelter Menschen, das Stampfen all der großen und kleinen Maschinen. Früher hatte ich mich, stocksteif auf dem Diwan liegend, von dem Stimmengewirr überschwemmen lassen. Jetzt aber hätte ich meine geistige Kraft lenken, den Chor verschiedener Geräusche sieben und trennen und verstärken können. Doch unterließ ich es, da ich immer noch nicht in der Lage war, diese Fähigkeit mit Überzeugung einzusetzen, wie ich auch meine neue Stärke nicht nutzen konnte.
Ach, aber ich liebte es, in der Nähe dieser Stadt zu sein.
Ich liebte ihr Elend und ihren Glanz, die alten baufälligen Hotels und die glänzenden Hochhäuser, die schwülen Winde, den schamlosen Verfall. Ich lauschte der nie endenden Großstadtmusik, ihrem dumpfen, pulsierenden Dröhnen. »Warum gehst du dann nicht hin?«
Marius.
Ich blickte vom Computer auf. Langsam, nur um ihn ein bißchen zu ärgern, obwohl er der geduldigste aller Unsterblichen war.
Er lehnte mit verschränkten Armen und gekreuzten Beinen im Rahmen der Terrassentür. Die Lichter dort draußen hinter ihm! Hatte es in der antiken Welt etwas dergleichen gegeben? Das Schauspiel einer elektrifizierten Stadt voller leuchtender Türme, ähnlich den engmaschigen Gittern in alten Gaslampen?
Er hatte sein Haar kurzgeschoren und trug schlichte, doch elegante Kleidung von heute: einen grauen Blazer und graue Hosen, und das Rote, denn etwas Rotes trug er immer, war diesmal ein dunkler Rollkragenpullover.
»Ich möchte, daß du das Buch beiseite legst«, sagte er. »Du hast dich hier schon seit über einem Monat eingeschlossen.«
»Ich gehe hin und wieder aus«, sagte ich. Ich sah ihn gerne an, das Neonblau seiner Augen.
»Dieses Buch«, sagte er. »Was bezweckst du damit? Würdest du mir das verraten?«
Ich antwortete nicht. Er drängte etwas intensiver, wenn auch in taktvollem Ton.
»Haben dir die Songs und die Autobiographie nicht gereicht?«
Ich versuchte zu bestimmen, was ihn so liebenswürdig aussehen ließ. Vielleicht waren es die winzigen Fältchen, die immer noch rund um seine Augen erschienen, oder es war die Art, wie sich seine Haut leicht runzelte, wenn er
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