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Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Heute seien Jungen dieses Alters die reinsten Monster. Sie trügen Barte, hätten Haare auf der Brust und seien dennoch immer noch Kinder, während damals, damals hätten Kinder wie erwachsene Männer arbeiten müssen.
    Wie auch immer: Alles lief darauf hinaus, daß Armand nicht wußte, was Menschen fühlten. Er hatte es nie gewußt. Ach, natürlich hatte er die fleischlichen Freuden gekannt, das war ganz normal. Niemand hatte, als er aufgewachsen war, angenommen, daß Kinder den sinnlichen Freuden abhold waren. Aber von wahrer Aggression wußte er wenig. Er tötete, weil das zu seiner Vampirnatur gehörte; und das Blut war unwiderstehlich. Aber warum fanden die Menschen den Krieg unwiderstehlich? Wie war der Wunsch zu erklären, mit Waffen aufeinander loszustürmen? Woher kam der Zwang zu zerstören?
    Daniel bemühte sich dann nach besten Kräften, eine Antwort zu rinden: Für einige Menschen war die Notwendigkeit, andere zu vernichten, die einzige Möglichkeit der Existenzbestätigung. Aber das wisse Armand ja sowieso.
    »Wissen? Wissen? Was nutzt es schon, wenn man es nicht versteht?«
    Schließlich, nach eineinhalb Jahren dieses ganzen Irrsinns, fing Daniel an, seinerseits Armand zu befragen. Wie ging es damals in Venedig wirklich zu? Laß uns diesen Film ansehen, der im achtzehnten Jahrhundert spielt, und sag mir, was alles falsch ist.
    Aber Armand war von bemerkenswerter Verschwiegenheit. »Ich kann dir darüber wirklich nichts sagen, weil ich damals nicht dort war, weil ich es nicht selbst erlebt und gesehen habe. Weißt du, ich kann mir derlei Dinge einfach nicht plausibel zusammenreimen, kann sie mir nicht logisch ableiten. Aber frag mich, wie es danach in Paris war. Frag mich, ob es am Samstag, den 5. Juni 1793, geregnet hat. Vielleicht kann ich es dir sagen.«
    Dann wieder sprudelte es nur so aus ihm hervor, wenn er von den Dingen seiner unmittelbaren Erfahrung sprach, von dem unheimlichen und aufdringlichen Sauberkeitsfimmel unseres Zeitalters, von dem furchteinflößenden Tempo der Veränderungen.
    »Sieh dir doch nur mal die weltbewegenden Erfindungen an, die noch im selben Jahrhundert nutzlos werden und veralten - das Dampfschiff, die Eisenbahnen; aber weißt du eigentlich, was das bedeutet nach sechstausend Jahren der Galeerensklaven und der Männer auf Pferderücken? Und jetzt kaufen diese jungen Puten Mittel, um den Samen ihrer Liebhaber abzutöten, und sie werden fünfundsiebzig Jahre alt und leben in einem Zimmer, das mit Apparaturen angefüllt ist, die die Luft kühlen und buchstäblich den Staub fressen. Und trotz aller Kostümfilme und all der Taschenbücher über Geschichte, die einem in jedem Kaufladen nachgeschmissen werden, können wir uns an so gut wie nichts erinnern; wir trauern der »Guten alten Zeit«, wir trauern dem Wohlleben und Frieden und der Ruhe von früher nach, Dingen, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat.«
    »Aber das Venedig deiner Zeit, erzähl mir doch …«
    »Was denn? Daß es schmutzig war? Daß es schön war? Daß die Leute in Lumpen und mit verfaulten Zähnen und stinkendem Atem herumliefen und sich über die öffentlichen Hinrichtungen amüsierten? Möchtest du wissen, was der grundlegendste Unterschied ist? Unsere Zeit ist von einer erschreckenden Einsamkeit gekennzeichnet. Nein, hör mir zu. Damals, als ich noch unter den Lebenden weilte, hausten wir zu sechst oder siebt in einem Zimmer. Die Straßen der Stadt wimmelten von Menschen; und heute dämmern dumpfe Seelen in der luxuriösen Abgeschiedenheit der Hochhäuser dahin, starren auf den Fernseher, in dem ihnen eine ferne Welt des Küssens und der körperlichen Berührung vorgeführt wird.
    Was für einen wahren Schatz gemeinsamen Wissens, was für eine neue Ebene menschlichen Bewußtseins, was für einen köstlichen Skeptizismus muß diese Einsamkeit bewirken.«
    Daniel war fasziniert, und manchmal versuchte er Armands Gedanken niederzuschreiben. Dennoch fürchtete er sich noch immer vor Armand. So war er dauernd unterwegs, auf der Flucht.
     
    Daniel wußte nicht mehr genau, wie lange das alles gedauert hatte, ehe er zur Ruhe kam, obwohl die Nacht der Erlösung selbst sich für immer in sein Gedächtnis eingrub.
    An die vier Jahre waren wohl ins Land gestrichen, seit das Spielchen begonnen hatte. Daniel hatte einen langen, ruhigen Sommer in Süditalien verbracht, währenddessen er seinen vertrauten Dämon kein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte. In einem billigen Hotel, nur ein paar Schritte vom alten

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