Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
er schloß die Augen - und beugte sich zu Daniel hinüber und schmiegte seinen Mund fest an dessen Hals.
Und wieder, wie damals in dem kleinen Zimmer des Vampirs Louis in der Divisadero Street in San Francisco, spürte Daniel die spitzen Zähne in seine Haut eindringen. Ein plötzlicher Schmerz, dann pochende Wärme. »Tötest du mich nun doch noch?« Von Liebe erfüllt, schwanden ihm die Sinne. »Mach’s, ja.«
Aber Armand hatte ihm nur ein paar Tropfen entnommen. Er ließ gleich wieder von Daniel ab und zwang ihn mit einem leichten Druck auf die Schultern in die Knie. Daniel blickte empor und sah das Blut von Armands Handgelenk rinnen. Er leckte es ab, und es war ihm, als würden ihn elektrische Schläge durchfahren. Und wie durch einen Blitzschlag war das alte Pompeji von Jammern und Klagen erfüllt, von längst verstummten Stimmen des Leids und des Sterbens, von Tausenden, die in Rauch und Asche untergegangen waren, Tausenden, die zusammen gestorben waren. Zusammen. Daniel hielt Armand umklammert. Kein Blut mehr. Nur noch der Geschmack -nichts weiter. »Du bist mein, schöner Junge«, sagte Armand.
Am nächsten Morgen, als er in einem der vornehmsten Hotels von Rom erwachte, wußte Daniel, daß er nie wieder vor Armand davonlaufen würde. Kaum eine Stunde nach Sonnenuntergang suchte ihn Armand auf. Sie würden jetzt nach London fahren, unten warte bereits ein Auto, um sie zum Flughafen zu bringen. Aber ein bißchen Zeit hätten sie noch für eine neuerliche Umarmung, für einen kleinen Blutaustausch. »Von meinem Hals da«, flüsterte Armand und wiegte Daniels Kopf in seinen Händen. Ruhiger Blutfluß durch die Adern. Und das Licht der Lampen strahlte derart auf, daß es das Zimmer förmlich auslöschte.
Liebhaber. Ja, alle Anzeichen deuteten auf eine leidenschaftliche und verzehrende Affäre hin.
»Du bist mein Lehrer«, bedeutete ihm Armand. »Du wirst mir alles über dieses Jahrhundert erzählen. Schon begreife ich einige der Geheimnisse, die mir vorher entgangen waren. Du kannst ja bei Sonnenaufgang zu Bett gehen, aber die Nächte gehören mir.«
Sie warfen sich dem Leben voll in die Arme. Armand war ein Meister der tausend Masken, und wenn er schon früh am Abend sich ein Opfer gesucht hatte, ging er überall, wohin sie auch kamen, als ganz normaler Mensch durch.
Es hätte eines anderen Unsterblichen bedurft, um mit diesem Tempo Schritt zu halten. Daniel schlief während der Konzerte und Opern ein oder während der Hunderte von Filmen, die er sich mit Armand ansehen mußte. Und dann waren da noch diese endlosen, überfüllten, lärmenden Parties von Chelsea bis Mayfair, wo Armand mit Studenten oder eleganten Frauen oder jedem, der ihm auch nur die geringste Gelegenheit dazu bot, über Politik und Philosophie diskutierte. Seine Augen wurden feucht vor Erregung, seine Stimme büßte ihren weichen und übernatürlichen Klang ein und wurde so hart und menschlich wie die der anderen jungen Männer um ihn herum. Kleider aller Art hatten es ihm angetan. Er trug Jeans und Sweatshirts wie Daniel, er trug handgestrickte Pullover und Arbeitsstiefel, lederne Windjacken und spiegelnde Sonnenbrillen, die er sich auf die Stirn schob. Er trug Maßanzüge und Smokings und weiße Fräcke, wenn ihm der Sinn danach stand; manchmal trug er sein Haar kurz geschnitten, so daß er wie ein junger Mann direkt aus Cambridge aussah, manchmal trug er eine lange, lockige Löwenmähne.
Es hatte den Anschein, als würden er und Daniel pausenlos unbeleuchtete Treppenhäuser erklimmen, um irgendeinen Maler oder Bildhauer oder Photographen zu besuchen oder um einen verbotenen revolutionären Film zu sehen. Sie verbrachten Stunden in den primitiven Wohnungen schwarzäugiger junger Damen, die Rockmusik spielten und Kräutertee kochten, den Armand niemals anrührte.
Natürlich verliebten sich dauernd Männer und Frauen in Armand; er war ja »so unschuldig, so leidenschaftlich, so geistreich«! Einfach unglaublich. Armand verführte geradezu gegen seinen Willen. Und es war Daniel, der mit diesen Unglücklichen ins Bett steigen mußte, während Armand in einem Sessel danebensaß und zuschaute, ein schwarzäugiger Amor, der sanft und billigend lächelte. Diese Schäferstündchen unter den Augen eines anderen waren nervenaufreibend, aber Daniel gab sich gleichwohl mit ungeteilter Leidenschaft hin, angestachelt von der doppelten Zweckdienlichkeit jeder intimen Regung. Danach freilich lag er völlig ausgepumpt da und starrte Armand
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