Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Gebäude gegenüber einquartiert hatte und ihn anstarrte.
Dann vergingen Wochen, in denen er allein gelassen wurde. Daniel schwankte zwischen Angst und seltsamer Erwartung, wobei er wieder an seinem Verstand zweifelte. Aber am New Yorker Flughafen wartete Armand bereits auf ihn. Und am folgenden Abend in Boston war Armand im Speisesaal des Copley, als Daniel hineinkam.
Daniels Essen war bereits bestellt. Bitte Platz zu nehmen. Ob Daniel wisse, daß das Gespräch mit dem Vampir in den Buchhandlungen auslag?
»Ich muß gestehen, ich genieße es, ein wenig berühmt zu sein«, sagte Armand mit ausgesuchter Höflichkeit und einem boshaften Lächeln. »Rätselhaft ist mir nur, daß du von diesem Ruhm nichts abhaben willst! Du verschweigst deine Autorenschaft, was nur heißen kann, daß du entweder äußerst bescheiden oder ein Feigling bist. Eins so langweilig wie das andere.«
»Ich habe keinen Hunger, laß uns gehen«, antwortet Daniel entkräftet. Doch plötzlich wurde ein Gang nach dem anderen serviert. Alle starrten sie an.
»Ich wußte nicht, wonach dir der Sinn steht«, bekannte Armand mit einem verzückten Lächeln. »Darum habe ich alles auf der Karte bestellt.«
»Du glaubst wohl, daß du mich in den Irrsinn treiben kannst, oder?« schnarrte Daniel. »Nun, das wird dir nicht gelingen. Jedesmal wenn ich dich ansehe, stelle ich erneut fest, daß ich dich nicht erfunden habe und daß ich bei gesundem Verstand bin!« Und er fing mit Lust und Appetit zu essen an - ein bißchen Fisch, ein bißchen Rindfleisch, ein bißchen Kalb, ein bißchen Bries, ein bißchen Käse, ein bißchen von allem, es kümmerte ihn nicht, und Armand machte es offensichtlich Spaß, er lachte und lachte wie ein kleiner Schuljunge, saß mit verschränkten Armen da und sah ihm zu. Damals hatte Daniel zum ersten Mal dieses weiche, einlullende Lachen vernommen. So verführerisch. Er betrank sich, so schnell es ging.
Mit der Zeit dauerten diese Zusammenkünfte immer länger. Gespräche, Wortgefechte und handfester Streit waren bald an der Tagesordnung. Einmal hatte Armand Daniel in New Orleans aus dem Bett gezerrt und ihn angebrüllt: »Dieses Telefon, ich will, daß du Paris anrufst, ich möchte sehen, ob man damit wirklich mit Paris sprechen kann.«
»Verdammt noch mal, mach’s doch selbst«, donnerte Daniel zurück. »Du bist fünfhundert Jahre alt und kannst nicht mal ein Telefon benutzen? Was bist du, ein unsterblicher Idiot? Ich werd’s jedenfalls nicht tun!« Armand war platt.
»Na schön, ich werde Paris für dich anrufen. Aber du zahlst die Rechnung.«
»Aber natürlich«, sagte Armand ganz unschuldig. Er zog dutzendweise Hundertdollarscheine aus seinem Mantel und ließ sie auf Daniels Bett schneien.
Immer häufiger diskutierten sie während dieser Zusammenkünfte über Philosophie. Einmal zerrte Armand Daniel in Rom aus einem Theater und fragte ihn, was seiner Meinung nach der Tod wirklich sei? Leute, die noch am Leben seien, wüßten um diese Dinge! Ob Daniel wisse, wovor Armand am meisten Angst habe?
Es war schon nach Mitternacht, und Daniel war betrunken und erschöpft und hatte so schön im Theater geschlafen, ehe Armand ihn aufspürte, und es war ihm ziemlich egal, wovor er Angst hatte.
»Ich will es dir verraten«, sagte Armand mit dem Eifer eines Erstsemesters. »Daß nach dem Tod nur noch Chaos herrscht, daß es wie ein Traum ist, aus dem man nicht erwachen kann. Ein halbbewußter Dämmerzustand, in dem man sich vergeblich zu erinnern sucht, wer man ist; für alle Ewigkeit nach der verlorenen Klarheit der Lebenden strebt…«
Diese Worte jagten Daniel einen Schreck ein; irgendwie klang das gar nicht so falsch. Erzählte man sich nicht immer wieder von dem einen oder anderen Medium, das mit verwirrten, doch machtvollen Wesen in Verbindung stand? Er wußte es nicht. Wie, zum Teufel, sollte er es auch wissen? Vielleicht gab es nach dem Tod ja auch einfach nur nichts. Das wiederum erfüllte Armand mit Furcht und Schrecken.
»Du glaubst doch nicht, daß ich Angst vorm Sterben habe?« fragte Daniel und blickte in die blaßgesichtige Gestalt neben ihm.
»Wie viele Jahre habe ich noch? Kannst du’s mir verraten? Sag’s mir ruhig.«
Ein andermal, als ihn Armand in Port-au-Prince aus dem Schlaf riß, wollte er über den Krieg sprechen. Was hielten die Menschen in diesem Jahrhundert eigentlich vom Krieg? Ob Daniel wisse, daß Armand schon als Junge mitten im Leben stand? Mit siebzehn war man damals noch jung, sehr jung.
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