Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Danach trug sie das Armband stets und überall.
Jesse führte Tagebuch über die Erinnerungen, die wieder in ihr auftauchten. Sie schrieb auch ihre Träume nieder. Aber in ihren Briefen an Maharet erwähnte sie davon nichts.
Während sie in London war, hatte sie eine Liebesaffäre. Sie endete in einer Katastrophe, und sie fühlte sich ziemlich einsam. Genau zu dieser Zeit nahmen die Talamasca Verbindung mit ihr auf, und ihr Leben wurde endgültig in andere Bahnen gelenkt.
Jesse lebte in einem alten Haus in Chelsea, nicht weit von Oscar Wildes einstigem Quartier. Jesse fühlte sich hier sehr wohl. Allerdings wußte sie nicht, daß es in diesem Haus schon seit Jahren spukte. Während der ersten Monate sah Jesse ein paar merkwürdige Dinge. Kaum sichtbare, huschende Erscheinungen, wie man sie an solchen Orten häufig sieht,- Echos von Leuten, um mit Maharet zu sprechen, die einmal vor Jahren da gelebt hatten. Jesse kümmerte sich nicht darum.
Als sie jedoch eines Nachmittags von einem Reporter aufgesucht wurde, der eine Reportage über Spukhäuser vorbereitete, erzählte sie ihm ganz offen von den Dingen, die sie gesehen hatte. Geister waren in London nichts Ungewöhnliches - eine alte Frau, die einen Krug aus der Speisekammer herumtrug, ein Mann in Frack und Zylinder, der für ein paar Sekunden auf der Treppe erschien.
Es wurde ein reichlich melodramatischer Artikel. Offenbar hatte Jesse zuviel erzählt. Sie wurde als »Hellseherin« oder »natürliches Medium« bezeichnet, das derlei unentwegt sah. Einer der Reeves-Familie aus Yorkshire rief sie an, um sie deswegen ein wenig auf den Arm zu nehmen. Jesse fand das auch komisch. Aber ansonsten scherte sie sich nicht weiter darum. Sie war ganz von ihrer Forschungsarbeit beim Britischen Museum in Anspruch genommen.
Dann nahmen die Talamasca, die den Zeitungsartikel gelesen hatten, Verbindung mit ihr auf.
Aaron Lightner, ein altmodischer Gentleman mit weißem Haar und ausgesuchten Manieren, lud sie zum Mittagessen ein. Ein alter, doch hervorragend gepflegter Rolls-Royce brachte ihn und Jesse zu einem kleinen und eleganten Privatclub. Es war eine der seltsamsten Begegnungen, die Jesse jemals gehabt hatte. Lightner war ein rechter Schönling, sein weißes Haar war voll und sorgfältig gestriegelt, und er trug einen maßgeschneiderten Tweedanzug. Außer ihm hatte sie noch nie jemanden gesehen, der einen silbernen Spazierstock mit sich führte.
Mit großem Eifer setzte er Jesse auseinander, daß er ein »Detektiv des Übersinnlichen« sei; er arbeite für einen »Geheimorden namens Talamasca«, dessen einziger Zweck es sei, Daten über »paranormale« Erfahrungen zu sammeln und diese Unterlagen zu Studienzwecken aufzubewahren. Die Talamasca seien immer auf der Suche nach Menschen mit paranormalen Fähigkeiten. Und die Talamasca böten besonders talentierten Leuten zuweilen eine Mitgliedschaft an, eine Karriere als »Detektiv des Übersinnlichen«, eher eigentlich eine Berufung, da die Talamasca völlige Hingabe und strikte Einhaltung ihrer Regeln verlangten.
Um ein Haar hätte Jesse losgelacht. Aber Lightner war auf ein gewisses Maß an Skepsis vorbereitet. Ihm standen ein paar »Tricks« zur Verfügung, die er immer bei solchen ersten Treffen anwandte. Und zu Jesses größter Überraschung bewegte er einige Gegenstände über den Tisch, ohne diese zu berühren. Eine ganz einfache Kraft, sagte er, die ihm als »Visitenkarte« diene.
Als der Salzstreuer wie aus eigener Willenskraft hin und her tanzte, war Jesse derart erstaunt, daß sie kein Wort mehr hervorbrachte. Aber die eigentliche Überraschung kam, als ihr Lightner gestand, daß er alles über sie wisse. Woher sie kam, wo sie studiert hatte. Er wußte, daß sie als kleines Mädchen Geister gesehen hatte.
Der Orden hatte schon Vorjahren davon erfahren und eine Akte über Jesse angelegt.
Sie dürfe versichert sein, daß die Talamasca ihre Untersuchungen unter peinlicher Wahrung der Persönlichkeitsrechte durchführten. Die Akte enthielte nur Berichte vom Hörensagen, Dinge, die Jesse Nachbarn, Lehrern und Schulfreunden erzählt habe. Jesse könne die Akte jederzeit einsehen. So gingen die Talamasca immer vor. Man nehme Kontakt zu Personen auf, die unter Beobachtung stünden. Die jeweilige Person erhalte alle Informationen, die ansonsten vertraulich seien.
Jesse fragte Lightner ziemlich schonungslos aus. Bald war klar, daß er eine Menge über sie wußte, aber rein nichts über Maharet und die Große
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