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Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Egoismus von mir. Aber Dir obliegt es, mein Gewissen zu beruhigen. Vergiß, daß dieser Besuch jemals stattgefunden hat. Verleugne nicht die Wahrheit Deiner Erinnerungen, aber zerbrich Dir auch nicht den Kopf darüber. Lebe Dein Leben, als wäre es niemals so leichtsinnig unterbrochen worden. Eines Tages werde ich all Deine Fragen beantworten, aber niemals wieder werde ich versuchen, Deiner Bestimmung eine andere Richtung zu geben. Ich gratuliere Dir zu Deiner neuen Berufung. Sei meiner ewigen und bedingungslosen Liebe versichert.
     
    Bald danach trafen erlesene Geschenke ein. Ledergepäck für Jesses Reisen und ein hübscher, nerzgefütterter Mantel, um sie in »dem abscheulichen britischen Wetter« warm zu halten.
    Jesse liebte den Mantel, weil der Nerz innen war und keine Aufmerksamkeit erregte. Das Gepäck leistete ihr gute Dienste. Und Maharet fuhr fort, ihr zwei- bis dreimal in der Woche zu schreiben. Sie war so fürsorglich wie je.
    Aber als die Jahre ins Land strichen, war es Jesse, die Zurückhaltung übte. Ihre Briefe wurden kurz und unregelmäßig, weil ihre Arbeit bei den Talamasca streng vertraulich war. Sie konnte einfach nichts über ihre Tätigkeit schreiben.
    An Weihnachten und Ostern besuchte sie nach wie vor Mitglieder der Großen Familie. Wann immer entfernte Verwandte nach London kamen, ging sie mit ihnen zum Mittagessen oder auf Sightseeingtour. Aber diese Treffen waren oberflächlich und kurz. Die Talamasca wurden bald Jesses Leben.
    Eine neue Welt eröffnete sich Jesse in den Talamasca-Archiven, als sie mit ihren Übersetzungen aus dem Lateinischen anfing: Berichte über hellseherische Familien und Individuen, Fälle von »offensichtlicher« Zauberei und schließlich die immer gleichen, doch schrecklich faszinierenden Transkriptionen der Hexenprozesse, in die stets die Unschuldigen und Unterdrückten verstrickt waren. Aber eine noch verführerischere Welt eröffnete sich ihr im Außendienst. Innerhalb eines Jahres nach Beitritt zum Talamasca-Orden hatte Jesse furchterregende Poltergeister spuken gesehen, vor denen selbst ausgewachsene Männer geflüchtet waren. Sie hatte ein telekinetisches Kind gesehen, das einen Eichentisch hochgehoben und durch ein Fenster geschmettert hatte. Sie hatte völlig stumm mit Gedankenlesern in Verbindung gestanden, die jede ihrer Botschaften verstanden. Sobald wie möglich machte sie jedesmal ihre Notizen und fragte sich immer wieder, warum sie eigentlich so erstaunt war.
    Würde sie sich nie daran gewöhnen? Es als selbstverständlich hinnehmen? Sogar die älteren Mitglieder der Talamasca bekannten, daß sie immer noch schockiert waren über die Dinge, die sich da vor ihnen abspielten.
    Zweifellos war Jesses Fähigkeit zu »sehen« außergewöhnlich gut ausgebildet. Und durch ständige Übung entwickelte sich diese Fähigkeit geradezu ungeheuer. Aber aus all den »Erscheinungen«, die sie »sah«, konnte Jesse nur selten Schlüsse ziehen. Ja, sie mußte begreifen, was alle Mitglieder des Talamasca-Ordens wußten: es gab keine schlüssige Theorie des Okkulten, die all die seltsamen Dinge, die man hörte oder sah, zu umgreifen imstande war. Die Arbeit war faszinierend, aber letztlich frustrierend. Jesse war sich ihrer nicht sicher, wenn sie sich an diese »rastlosen Wesen« wandte oder die hohlköpfigen Geister, wie Mael sie einst recht zutreffend bezeichnet hatte. Und sie riet ihnen stets, sich zu »höheren Ebenen« zu begeben, um Frieden zu finden und gleichzeitig die Sterblichen in Frieden zu lassen.
    Das schien ihr der einzig gangbare Weg, obwohl sie der Gedanke entsetzte, daß sie diese Geister des einzigen Lebens berauben könnte, das ihnen blieb. Was, wenn der Tod das Ende bedeutete und es Übersinnliches nur gab, weil hartnäckige Seelen dieses Ende nicht akzeptieren wollten? Eine wahrhaft entsetzliche Vorstellung - die Geisterwelt als fernes und chaotisches Nachglühen vor der endgültigen Finsternis.
    Wie auch immer, Jesse fand stets Trost in der Hilfsbereitschaft der Lebenden. Allmählich reifte die Überzeugung in ihr, daß ihr Leben etwas Besonderes war. Es war aufregend. Sie hätte es für nichts in der Welt eintauschen mögen.
    Nun, beinahe für nichts. Sie hätte die Talamasca wohl stehenden Fußes verlassen, wenn Maharet auf der Türschwelle erschienen wäre und sie gebeten hätte, nach Sonoma zurückzukehren, um sich nun ernsthaft mit der Geschichte der Großen Familie zu befassen. Und dann vielleicht auch wieder nicht.
     
    Denn Jesse

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