Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Chroniken und Akten zu übersetzen und zu »bearbeiten«. Und mindestens einen Tag pro Woche hatte sie sich in den Museen mit der Erforschung der verschiedenartigen Fundstücke zu beschäftigen. Aber jederzeit hatte die praktische wissenschaftliche Arbeit an erster Stelle zu stehen — die Untersuchung übersinnlicher Phänomene.
Erst einen Monat später schrieb sie Maharet über ihre Entscheidung. Und in diesem Brief ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie liebe diese Leute und ihre Arbeit. Natürlich erinnere sie die Bibliothek an das Familienarchiv und ihre glückliche Zeit in Sonoma. Ob Maharet sie verstehen könne?
Maharets Antwort verblüffte sie. Maharet kannte die Talamasca, ja, sie schien mit ihrer Geschichte recht vertraut zu sein. Sie gestand ohne Umschweife, daß sie zutiefst bewundere, wie sich der Orden während der Hexenverfolgungen im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert bemüht habe, Unschuldige vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. Maharet hatte den Talamasca gegenüber jedoch ihre Vorbehalte:
So sehr ich ihren leidenschaftlichen Einsatz für die Verfolgten in aller Welt bewundert, sosehr bin ich auch davon überzeugt, daß ihre Nachforschungen nicht viel wert sind. Mit anderen Worten: Geister, Gespenster, Vampire, Werwölfe, Hexen etc. trotzen alle jeder Beschreibung - diese Wesen mögen ja alle existieren, und die Talamasca können noch ein weiteres Jahrtausend mit ihrem Studium zubringen, aber was ändert das schon am Schicksal der menschlichen Rasse?
Zweifellos hat es in grauer Vorzeit den einen oder anderen gegeben, der Visionen hatte und mit Geistern in Verbindung stand. Und vielleicht waren diese Leute als Hexen oder Schamanen für ihren Stamm oder für ihr Land von einigem Wert. Aber dam hat man aufgrund solcher einfachen und verführerischen Erfahrungen die bizarrsten Religionen gegründet und dem Aberglauben Tür und Tor geöffnet. Habe» diese Religionen nicht mehr Schaden als Nutzen gestiftet?
Wir haben doch längst, egal wie man die Geschichte interpretiert, den Punkt überschritten, da uns der Kontakt tu Geistern irgendwie weiterhelfen könnte. Das Übernatürliche, in welcher Form es auch existiert, sollte keine Rolle in der Menschheitsgeschichte spielen.
Zusammenfassend darf ich sagen, daß die Talamasca Material zusammentragen, das weder wichtig ist noch wichtig sein sollte. Die Talamasca sind eine interessante Organisation. Aber erreichen können sie letztlich nichts.
Ich liebe Dich. Ich respektiere Deine Entscheidung, aber ich hoffe um deinetwillen, daß Du der Talamasca überdrüssig wirst und zur wirklichen Welt zurückkehrst - schon bald.
Jesse dachte lange nach, ehe sie antwortete. Es quälte sie, daß ihre neue Tätigkeit nicht Maharets Zustimmung gefunden hatte. Doch Jesse wußte auch, daß ihre Entscheidung nicht frei von einer Art Schuldzuweisung war. Maharet hatte ihr die Geheimnisse der Familie verwehrt; die Talamasca hatten sie aufgenommen.
Dann schrieb sie Maharet und versicherte ihr, daß die Ordensmitglieder sich keinen Illusionen über die Bedeutung ihrer Arbeit hingäben. Sie würden mit Maharets Ansichten über die Bedeutungslosigkeit von Medien, Geistern und Gespenstern voll übereinstimmen.
Aber glaubten nicht Millionen von Leuten, daß die verkrusteten Funde der Archäologen ebenfalls bedeutungslos seien? Jesse flehte Maharet an, doch zu verstehen, was ihr das alles bedeute. Und schließlich schrieb sie zu ihrer eigenen Überraschung die folgenden Zeilen:
Ich werde den Talamasca nie etwas über die Große Familie erzählen. Ich werde ihnen nie von dem Haus in Sonoma und den mysteriösen Dingen, die mir während meines Aufenthaltes zugestoßen sind, berichten. Einem solchen Geheimnis würden sie um jeden Preis auf die Spur kommen wollen. Und meine Loyalität gehört Dir. Nur laß mich bitte eines Tages in das Haus in Kalifornien zurückkehren. Laß mich Dir von den Dingen erzählen, die ich gesehen habe. In letzter Zeit ist mir wieder einiges eingefallen. Ich hatte rätselhafte Träume, und in diesen Angelegenheiten traue ich Deinem Urteil. Du warst immer so großzügig zu mir. Ich zweifle nicht an Deiner Liebe tu mir. Bitte verstehe auch, wie sehr ich Dich liebe.
Maharets Antwort war kurz.
Jesse, ich bin eine exzentrische und eigenwillige Person, kaum jemals ist mir etwas abgeschlagen worden. Ab und zu überschätze ich meinen Einfluß auf andere. Ich hätte Dich nie nach Sonoma einladen dürfen. Das war unverzeihlicher
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