Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
machen, Mael las manchmal laut und schön Gedichte vor; Maharet spielte etwas auf dem Klavier, sehr langsame, meditative Stücke. Eric tauchte hin und wieder auf und sang voller Inbrunst Lieder mit ihnen.
Er hatte japanische und italienische Filme mitgebracht, die sie sich mit großem Vergnügen ansahen. Von Julia und die Geister war Jesse so angetan, daß sie in Tränen ausbrach.
All diese Leute wollten mehr über Jesse erfahren. Ja, Mael stellte ihr die kuriosesten Fragen. Hatte sie jemals in ihrem Leben eine Zigarette geraucht? Wie schmeckte Schokolade? Woher nahm sie den Mut, sich alleine mit jungen Männern in deren Autos oder Wohnungen aufzuhalten? Wußte sie denn nicht, daß solche Abenteuer tödlich enden könnten? Um ein Haar hätte sie losgelacht. Nein, ernsthaft, derlei geschähe andauernd, drang er auf sie ein. Man müsse doch nur die Zeitung aufschlagen. In den modernen Großstädten hätten die Männer offenbar die Frauen zu Freiwild erklärt.
Einmal saßen sie zusammen am Eßtisch und unterhielten sich. Sie erzählte ihm von den Geistern, die sie manchmal zu Gesicht bekam, und mürrisch bezeichnete er diese als hohlköpfige oder verrückte Tote, worauf sie lachen mußte. Aber es stimmte schon,- Geister benahmen sich in der Tat, als seien sie ein wenig dämlich, das war ja das Unheimliche. Hörten die Menschen auf zu existieren, wenn sie starben? Oder siechten sie in einem dumpfen Zustand dahin, um medial begabten Lebenden zu den sonderbarsten Gelegenheiten zu erscheinen und ihnen allerlei Unsinn zu erzählen? Wann hatte ein Geist jemals irgend etwas Interessantes von sich gegeben?
»Aber das sind natürlich nur die erdgebundenen Geister«, sagte Mael. »Wer weiß, wohin wir gehen, wenn wir uns schließlich des Fleisches mit all seinen Wonnen entledigen?«
Jesse war inzwischen reichlich angetrunken, und ein schreckliches Grauen beschlich sie - Gedanken an das alte Geisterhaus von Stan-ford White und die Geister, die sich in die New Yorker Menschenmengen mischten. Sie sah den hübschen, blauäugigen Mael an, der ausnahmsweise einmal nicht seine Handschuhe und seine getönte Brille trug.
»Außerdem«, sagte Mael, »gibt es noch andere Geister, die schon immer hiergewesen sind. Sie waren nie aus Fleisch und Blut, und gerade darum sind die so wütend.«
Welch eigenarige Vorstellung. »Woher weißt du das?« fragte jesse und starrte ihn noch immer an. Mael war schön. Seine Schönheit bestand aus der Summe seiner Mängel - die Hakennase, das allzu kräftige Kinn, sein mageres Gesicht, umrahmt von wildem, strohfarbenem Haar. Die Augen saßen zu tief in ihren Höhlen, weswegen sie nur noch stechender erschienen. Ja, so schön - am liebsten hätte sie ihn umarmt, geküßt, in ihr Bett eingeladen … Schon immer hatte sie ihn anziehend gefunden, ein Gefühl, das sie nun zu überwältigen drohte. Dann machte sie eine merkwürdige Feststellung. Das ist kein menschliches Wesen. Das ist jemand, der vorgibt, ein menschliches Wesen zu sein. Es war sonnenklar. Aber es war gleichzeitig lächerlich!
Wenn das kein menschliches Wesen war, was, zum Teufel, war es dann? Mael war sicher kein Geist oder Gespenst. Daran bestand kein Zweifel.
»Ich glaube, wir wissen nicht, was wirklich oder unwirklich ist«, sagte sie, ohne es eigentlich zu wollen. »Wenn man lange genug etwas anstarrt, sieht es plötzlich monströs aus.« Sie hatte sich von ihm abgewandt, um ihren Blick auf den Blumenstrauß in der Mitte des Tisches zu wenden. Alte Teerosen, die ihre Blütenblätter verloren. Und diese Dinger sahen ganz fremdartig und irgendwie schrecklich aus - wie Insekten! Was waren sie wirklich?
Dann zerbrach die Vase in lauter Stücke, und das Wasser breitete sich auf dem ganzen Tisch aus. Und Mael sagte: »Oh, verzeih. Das wollte ich nicht.« Das war tatsächlich geschehen, keine Einbildung gewesen. Dennoch gab Mael sich nicht im geringsten irritiert. Er machte sich zu einem Waldspaziergang auf, nachdem er ihre Stirn geküßt hatte, und seine Hand zitterte, als er plötzlich ihr Haar zu berühren suchte, aber dann besann er sich offenbar eines Besseren. Natürlich hatte Jesse getrunken. Ja, während ihres ganzes Aufenthalts trank sie zuviel. Und niemand schien es zu bemerken.
Ab und zu gingen sie aus und tanzten in der mondbeschienenen Lichtung. Es war kein bestimmter Tanz. Sie bewegte sich allein im Kreise und blickte zum Himmel empor. Mael summte dann eine Melodie, oder Maharet
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