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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sterben, dachte ich. Aber ganz sicher war ich mir nicht. Ich erinnerte mich an den Gesichtsausdruck der Kellnerin und an die Besorgnis der Leute, die mich auf der Straße angesprochen hatten. Wieder überkam mich ein Hustenanfall.
    Ich mußte etwas unternehmen, dachte ich. Aber was? Wenn der Arzt mir nun ein starkes Beruhigungsmittel gab, das mich so sehr betäubte, daß ich nicht zum Stadthaus zurückkehren konnte? Oder wenn ihre Medikamente meine Konzentration so sehr beeinträchtigten, daß ich den Körpertausch nicht mehr vollziehen konnte? Guter Gott, ich hatte ja noch nicht einmal ausprobiert, ob ich diesen menschlichen Körper überhaupt verlassen konnte - ein Trick, den ich in meiner anderen Gestalt so gut beherrscht hatte.
    Und ich wollte es auch nicht ausprobieren. Wenn ich nun nicht wieder hineinkönnte? Nein, mit solchen Experimenten wollen wir lieber auf James warten, und von Ärzten mit Injektionsspritzen wollen wir uns fernhalten!
    Die Türglocke ertönte. Es war die gutherzige Kellnerin, und sie brachte einen Sack voller Medikamente - Fläschchen mit leuchtend roten und grünen Flüssigkeiten und Plastikröhrchen mit Tabletten. »Sie sollten wirklich einen Arzt rufen«, meinte sie, während sie alles auf die Marmorplatte der Frisierkommode aufreihte. »Sollen wir Ihnen einen besorgen?«
    »Auf keinen Fall.« Ich drückte ihr noch mehr Geld in die Hand und schob sie zur Tür. Moment, sagte sie: Ob sie den Hund ausführen dürfe, da er doch gerade gefressen habe?
    Ah ja, das war eine wunderbare Idee. Ich gab ihr noch ein paar Scheine und befahl Mojo, mitzugehen und zu tun, was sie sagte. Sie schien von Mojo fasziniert zu sein und murmelte etwas darüber, daß er einen größeren Kopf habe als sie selbst. Ich ging zurück ins Bad und starrte die kleinen Fläschchen an, die sie mir gebracht hatte. Ich war mißtrauisch gegen diese Medikamente. Andererseits wäre es nicht besonders fein von mir, James einen kranken Körper zurückzugeben. Wenn James ihn nun nicht haben wollte? Nein, das war doch unwahrscheinlich. Er würde die zwanzig Millionen und den Husten und den Schüttelfrost nehmen. Ich nahm einen großen Schluck von einer ekelhaften grünen Medizin, kämpfte die aufsteigende Übelkeit nieder und zwang mich, ins Wohnzimmer zurückzukehren, wo ich mich vor dem Schreibtisch auf den Stuhl fallen ließ.
    Ich fand Hotelschreibpapier und einen Kugelschreiber, der ganz gut funktionierte
    - auf die schlüpfrige zittrige Art, wie Kugelschreiber funktionieren. Ich fing an zu schreiben und merkte gleich, daß es mit diesen großen Fingern sehr mühsam war; aber ich ließ mich nicht davon abbringen und schilderte in hastigen Details, was ich heute gefühlt und gesehen hatte.
    Ich schrieb und schrieb, obwohl ich kaum den Kopf hochhalten konnte und fast keine Luft mehr bekam. Schließlich, als alles Papier aufgebraucht war und ich mein eigenes Gekritzel selbst kaum noch lesen konnte, stopfte ich die Blätter in einen Umschlag, leckte ihn an und klebte ihn zu, und dann adressierte ich ihn an mein Apartment in New Orleans und stopfte ihn in meine Hemdtasche unter dem Pullover; dort war er sicher und würde nicht verlorengehen.
    Schließlich streckte ich mich auf dem Boden aus. Der Schlaf übermannte mich. Er würde einen großen Teil der Stunden verzehren, die ich als Sterblicher noch hatte; ich hatte keine Kraft mehr für irgend etwas anderes.
    Aber ich schlief nicht sehr tief. Ich war zu fiebrig, und meine Angst war zu groß. Ich erinnere mich, daß die sanfte Kellnerin mit Mojo zurückkam und mir noch einmal sagte, ich sei krank.
    Ich erinnere mich, daß ein Zimmermädchen der Nachtschicht hereinkam und scheinbar stundenlang herumhantierte. Ich erinnere mich, daß Mojo neben mir lag und wie wann er sich anfühlte, wie ich mich an ihn schmiegte, wie gut er roch mit seinem wunderbaren wolligen Pelzduft, der natürlich nicht annähernd so stark war, wie ich ihn in meinem alten Körper empfunden hätte. Für einen Augenblick dachte ich, ich sei in Frankreich, in den alten Zeiten.
    Aber die Erinnerung an die alten Zeiten war von diesem Erlebnis auf irgendeine Weise ausgelöscht worden. Hin und wieder öffnete ich die Augen und sah einen Lichtkranz um die brennende Lampe, ich sah die schwarzen Fenster, in denen sich die Möbel spiegelten, und bildete mir ein, ich könne den Schnee draußen hören.
    Irgendwann stand ich auf und wollte ins Badezimmer; ich stieß mir heftig den Kopf am Türrahmen und fiel auf die Knie.

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