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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hätte. Mit einer der jungen Frauen aus der Truppe hätte ich die Sünde der Unzucht begangen. Dennoch seien diese Tage der Schauspielerei auf der Bühne im Dorf und der Liebesspiele mir unschätzbar wertvoll erschienen! »Wissen Sie, da lebte ich nämlich, ich lebte einfach! Die trivialen Sünden eines Knaben! Als ich tot war, da war jeder Schritt, den ich in der Welt tat, eine Verpflichtung an die Sünde, und doch sah ich bei jeder Wendung das Sinnliche und das Schöne.«
    Wie das sein könne, fragte ich sie. Als ich Claudia zu einem Kindvampir machte und Gabrielle, meine Mutter, zu einer Vampirschönheit - auch da hatte ich nach einer intensiven Empfindung gestrebt! Ich hatte es unwiderstehlich gefunden. Und in diesen Augenblicken war jegliches Konzept von Sünde ohne Sinn gewesen.
    Ich redete weiter, erzählte noch einmal von David und seiner Vision von Gott und dem Teufel im Cafe und wie David vermutet hatte, Gott sei nicht vollkommen, Gott sei die ganze Zeit am Lernen, und der Teufel habe tatsächlich so viel gelernt, daß er seinen Job inzwischen verachte und darum bettele, davon befreit zu werden. Aber ich wußte, ich hatte ihr das alles schon im Krankenhaus erzählt, als sie meine Hand gehalten hatte.
    Zwischendurch hörte sie manchmal auf, mit den Kissen, mit Pillen und Wassergläsern zu hantieren, und dann sah sie mich einfach an.
    Wie still ihr Gesicht war, wie eindrucksvoll ihre Miene mit den dunklen, dichten Wimpern an den hellen Augen, mit dem großen, weichen Mund, der so beredt von ihrer Güte sprach.
    »Ich weiß, daß Sie gut sind«, sagte ich. »Ich liebe Sie dafür. Dennoch würde ich es Ihnen geben, das Blut der Finsternis, um Sie unsterblich zu machen - um Sie in Ewigkeit bei mir zu haben, weil Sie mir ein solches Geheimnis sind und so stark.«
    Schweigen umgab mich wie eine Schicht, ein dumpfes Tosen erfüllte meine Ohren, und ein Schleier lag über meinen Augen. Regungslos sah ich zu, wie sie eine Spritze hob, sie anscheinend prüfte, indem sie einen winzigen Strahl silbriger Flüssigkeit in die Luft spritzte, und die Nadel dann in mein Fleisch stieß. Das leichte Brennen war sehr weit weg und ganz unwichtig.
    Als sie mir ein großes Glas Orangensaft gab, trank ich es gierig leer. Hmm. Das war wenigstens etwas, was schmeckte. Dick wie Blut, aber voller Süße und auf eigenartige Weise so, als schlucke man das Licht selbst hinunter.
    »Ich hatte alle diese Dinge vergessen«, sagte ich. »Wie gut das schmeckt, eigentlich besser als Wein. Ich hätte es schon früher trinken sollen. Und wenn ich mir vorstelle, ich wäre zurückgegangen, ohne es zu wissen.« Ich ließ mich ins Kissen sinken und schaute zu den nackten Balken der niedrigen, schrägen Decke hinauf. Ein hübsches, sauberes kleines Zimmer, sehr weiß. Sehr einfach. Ihre Nonnenzelle. Draußen vor dem kleinen Fenster fiel sanft der Schnee. Ich zählte zwölf kleine Glasscheiben.
    Ich schlief immer wieder ein und wachte auf. Undeutlich erinnere ich mich daran, daß sie versuchte, mir Suppe zu trinken zu geben, und daß ich nicht trinken konnte. Ich zitterte und hatte schreckliche Angst, daß diese Träume zurückkehren könnten. Ich wollte nicht, daß Claudia kam. Das Licht in dem kleinen Zimmer brannte mir in den Augen. Ich erzählte ihr, wie Claudia mich heimsuchte, Claudia und das kleine Hospital.
    »Voller Kinder«, sagte sie. Hatte sie das nicht schon einmal bemerkt? Wie verwirrt sie aussah. Sie erzählte leise von ihrer Arbeit in der Mission … mit Kindern. Im Dschungel von Venezuela und in Peru.
    »Sprechen Sie jetzt nicht mehr«, sagte sie.
    Ich wußte es; ich machte ihr angst. Ich begann wieder zu schweben, glitt ins Dunkel und wieder hervor, spürte ein kühles Tuch auf meiner Stirn und lachte wieder über das Gefühl der Schwerelosigkeit. Ich erzählte ihr, daß ich mit meinem normalen Körper durch die Luft fliegen könne. Ich erzählte ihr, wie ich über der Wüste Gobi ins Licht der Sonne geflogen war.
    Ab und zu öffnete ich jäh die Augen und war erschrocken, mich hier wiederzufinden. In ihrem kleinen weißen Zimmer.
    Im gleißenden Licht sah ich ein Kreuz an der Wand, mit einem blutenden Christus, und auf einem kleinen Bücherschrank stand eine Statue der Jungfrau Maria - das altvertraute Bild der Mediatrix aller Gnaden mit dem gesenkten Kopf und den ausgestreckten Händen. War das dort die heilige Rita mit der roten Wunde in der Stirn? Ach, all der alte Glaube - und wenn man sich vorstellte, daß er im Herzen dieser

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