Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
vor Schmerzen, aber da war kein Messer, da waren nur diese kleinen Hände, die mich festhielten, und der Duft zerdrückter Rosen, der aus ihrem schimmernden Haar stieg.
»Nein, ich kann nicht beichten«, sagte ich. Wie meine Stimme zitterte! »O mein Gott, was willst du denn von mir?«
»Du bereust nicht! Du hast es nie bereut! Sag es. Sag die Wahrheit! Du hast es verdient, daß ich dir das Messer ins Herz gestoßen habe, und du weißt es, du hast es immer gewußt!«
»Nein!«
Irgend etwas in mir zerbrach, als ich auf sie hinunterstarrte, in ihr feines Gesicht, umrahmt von zartgesponnenem Haar. Ich hob sie hoch und stand auf; ich setzte sie vor mir auf den Stuhl und sank vor ihren Füßen auf die Knie.
»Claudia, hör mir zu. Ich habe es nicht angefangen. Ich habe die Welt nicht erschaffen! Es war immer da, dieses Böse. Es war im Dunkel, und es hat mich gefangen und mich zu einem Teil seiner selbst gemacht, und ich habe getan, was ich tun zu müssen glaubte. Bitte lache mich nicht aus, bitte wende deinen Kopf nicht ab.
Ich habe das Böse nicht geschaffen! Ich habe mich selbst nicht geschaffen!« Wie verblüfft sie mich anstarrte, mich beobachtete, und dann verzog sich ihr kleiner, voller Mund zu einem wunderschönen Lächeln.
»Es war nicht nur Qual«, sagte ich, und meine Finger gruben sich in ihre kleinen Schultern. »Es war nicht die Hölle. Sag mir, daß es •nicht so war. Sag mir, daß es auch Glück gab. Können Teufel glücklich sein? Lieber Gott, ich verstehe es nicht.«
»Du verstehst nichts, aber du tust immer etwas, nicht wahr?«
»Ja, und ich bereue es nicht. Ich bereue es nicht. Ich würde es von den Dächern hinaufbrüllen in die Kuppel des Himmels. Claudia, ich würde es noch einmal tun!«
Ein mächtiger Seufzer stieg aus meiner Brust empor. Ich wiederholte meine Worte, und meine Stimme wurde lauter. »Ich würde es noch einmal tun!«
Stille im Zimmer.
Ihre Ruhe blieb ungebrochen. War sie wütend? Überrascht? Unmöglich zu sagen, als ich in ihre ausdruckslosen Augen schaute.
»Oh, du bist böse, mein Vater«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Wie kannst du das ertragen?«
David wandte sich vom Fenster ab. Er stand neben ihr und schaute auf mich herab, während ich immer noch kniete.
»Ich bin das Ideal meiner Art«, sagte ich. »Ich bin der vollkommene Vampir. Du siehst den Vampir Lestat, wenn du mich ansiehst. Niemand überstrahlt die Gestalt, die du hier vor dir siehst - niemand!« Langsam erhob ich mich. »Mich macht die Zeit nicht zum Narren, und ich bin auch kein durch Jahrtausende gehärteter Gott; ich bin nicht der Gaukler im schwarzen Umhang und auch kein trauriger Wanderer. Ich habe ein Gewissen. Ich kenne den Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Ich weiß, was ich tue, und jawohl: Ich tue es. Ich bin der Vampir Lestat. Da hast du deine Antwort. Mach damit, was du willst.«
Morgengrauen. Farblos und hell über dem Schnee. Gretchen schlief und hielt mich in den Armen.
Sie erwachte nicht, als ich mich aufsetzte und nach dem Glas Wasser griff. Geschmacklos, aber kühl.
Dann schlug sie die Augen auf und fuhr erschrocken hoch; ihr dunkelblondes Haar fiel ihr übers Gesicht, trocken und sauber und erfüllt von dünnem Licht.
Ich küßte sie auf die warme Wange und fühlte ihre Finger an meinem Hals und dann wieder auf meiner Stirn.
»Du hast mich durchgebracht«, sagte ich, und meine Stimme war rauh und zittrig. Ich ließ mich auf das Kissen zurücksinken, und wieder spürte ich die Tränen auf meinen Wangen, und ich schloß die Augen und flüsterte: »Leb wohl, Claudia«, und ich hoffte, daß Gretchen es nicht hörte.
Als ich die Augen wieder öffnete, hatte sie mir einen großen Teller heißer Brühe gebracht; ich trank sie, und sie schmeckte beinahe gut. Aufgeschnittene Äpfel und Apfelsinen lagen glitzernd auf einem Teller. Ich aß sie hungrig und staunte, wie knackig die Äpfel waren, wie faserig die Orangen sich kauten. Dann kam ein heißes Gebräu aus starkem Schnaps und Honig und saurer Zitrone, das mir so gut schmeckte, daß sie eilig noch mehr davon machte.
Wieder mußte ich daran denken, wie ähnlich sie der griechischen Frau von Picasso sah, so groß und schön. Ihre Brauen waren dunkelbraun, ihre Augen hell - hellgrün beinahe -, und das gab ihrem Gesicht einen Ausdruck von Hingabe und Unschuld. Sie war nicht jung, diese Frau, und auch das vergrößerte ihre Schönheit in meinen Augen.
Es war etwas Selbstloses und
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