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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Frau noch lebte …
    Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, die fetter gedruckten Titel der Bücher auf ihren Regalen zu lesen: Thomas von Aquin, Maritain, Teilhard de Chardin. Die gewaltige Anstrengung, diese verschiedenen katholischen Namen zu katholischen Philosophen zu deuten, erschöpfte mich. Aber ich las noch andere Titel, denn mein Geist war fiebrig und konnte nicht zur Ruhe kommen. Da waren Bücher über Tropenkrankheiten, Kinderkrankheiten, Kinderpsychologie. An der Wand neben dem Kruzifix konnte ich ein gerahmtes Bild erkennen: Nonnen in Schleier und Tracht, vielleicht bei einer Feier. Ob sie dabei war, konnte ich nicht erkennen, nicht mit diesen sterblichen Augen, die noch dazu weh taten. Die Nonnen trugen kurze blaue Mäntel und blau-weiße Schleier.
    Sie hielt meine Hand. Ich sagte ihr wieder, ich müsse nach New Orleans. Ich müsse am Leben bleiben, damit ich meinen Freund Louis erreichen könnte, der mir helfen würde, meinen Körper zurückzuholen. Ich schilderte ihr Louis - wie er außer Reichweite der modernen Welt in einem winzigen, unbeleuchteten Haus am Ende seines verlotterten Gartens wohnte. Ich erklärte ihr, daß er zwar schwach sei, mir aber doch das Vampirblut geben könne, und daß ich dann wieder ein Vampir sein würde. Und dann würde ich den Körperdieb jagen und mir meine alte Gestalt zurückgeben lassen. Ich erzählte ihr, wie überaus menschlich Louis war; er würde mir nicht viel vampirische Kraft geben. Aber ohne einen übernatürlichen Körper würde ich den Körperdieb nicht finden.
    »Also wird dieser Körper sterben«, sagte ich, »wenn er mir das Blut gibt. Sie erretten ihn für den Tod.« Ich weinte. Ich merkte, daß ich Französisch gesprochen hatte, aber anscheinend verstand sie mich, denn sie antwortete jetzt auf französisch, ich müsse mich ausruhen, ich sei im Delirium.
    »Ich bin bei Ihnen«, sagte sie sehr langsam und sorgfältig auf französisch. »Ich werde Sie beschützen.« Ihre warme, sanfte Hand lag auf der meinen. So behutsam strich sie mir das Haar aus der Stirn.
    Dunkelheit senkte sich um das kleine Haus.
    Ein Feuer brannte in dem kleinen Kamin, und Gretchen lag neben mir. Sie hatte ein langes Flanellhemd angezogen, sehr dick und weiß, und ihr Haar war offen, und sie hielt mich im Arm, während ich zitterte. Es war ein schönes Gefühl, ihr Haar an meinem Arm. Ich hielt sie fest, voller Angst, ich könnte sie verletzen. Immer wieder wischte sie mir mit einem kühlen Tuch das Gesicht ab. Sie zwang mich, Orangensaft oder kaltes Wasser zu trinken. Die Nachtstunden schritten fort, und meine Panik ebenfalls.
    »Ich werde dich nicht sterben lassen«, flüsterte sie mir ins Ohr. Aber ich hörte die Angst, die sie nicht verhehlen konnte. Schlaf rollte über mich hinweg, ein dünner Schlaf, so daß das Zimmer seine Form behielt, seine Farben, sein Licht. Wieder rief ich die anderen, flehte Marius an, mir zu helfen. Ich begann schreckliche Dinge zu denken; daß sie alle nur waren wie kleine weiße Statuen der Jungfrau Maria und der heiligen Rita, die mich beobachteten und sich weigerten, mir zu helfen.
    Irgendwann vor dem Morgengrauen hörte ich Stimmen. Ein Arzt war gekommen - ein müder junger Mann mit gelblicher Haut und rotgeränderten Augen. Wieder stach man mir eine Nadel in den Arm. Ich bekam Eiswasser und trank es gierig. Was der Arzt leise murmelte, konnte ich nicht verstehen, und ich sollte es wohl auch nicht. Aber die Kadenzen seiner Stimme klangen gelassen und spürbar beruhigend. Ich schnappte die Wörter »Epidemie« und »Blizzard« und »unmögliche Zustände« auf.
    Als die Tür sich geschlossen hatte, bat ich sie zurückzukommen. »Laß mich an dein schlagendes Herz«, flüsterte ich ihr ins Ohr, als sie sich neben mich legte. Wie schön das war, ihre zarten, schweren Glieder, ihre großen, formlosen Brüste an meiner Brust, ihr glattes Bein an meinem. War ich zu krank, um Angst zu haben?
    »Schlafe jetzt«, sagte sie. »Versuche, dir keine Sorgen zu machen.« Und endlich kam ein tiefer Schlaf zu mir, so tief wie der Schnee draußen, tief wie die Dunkelheit.
     
    »Findest du nicht, daß es Zeit für dich wird, deine Beichte abzulegen?« fragte Claudia. »Du weißt, daß du wirklich am sprichwörtlichen Faden hängst.« Sie saß auf meinem Schoß und schaute zu mir auf; sie hatte mir die Hände auf die Schultern gelegt, und ihr kleines Gesicht war nicht einmal eine Handbreit von meinem entfernt.
    Mein Herz schrumpfte zusammen und explodierte

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