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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gibt keinen Platz für uns auf der Erde«, sagte ich. »Vielleicht früher einmal; ich weiß es nicht. Die Tatsache, daß wir existieren, ist keine Rechtfertigung. Jäger haben die Wölfe von der Erde verjagt. Ich dachte mir, wenn ich unsere Existenz offenbarte, würden Jäger auch uns von der Erde verjagen. Aber so sollte es nicht sein. Meine kurze Karriere war eine Kette von Illusionen. Niemand glaubt an uns. Und so soll es auch sein. Vielleicht sollten wir an Verzweiflung sterben, langsam und lautlos von der Erde verschwinden.
    Nur, ich ertrage das nicht. Ich kann es nicht ertragen, still zu sein und nichts zu sein, mit Genuß Leben zu nehmen, die Schöpfungen und Leistungen der Sterblichen ringsumher zu sehen und nicht dazuzugehören, sondern Kain zu sein. Der einsame Kain. Das ist die Welt für mich, weißt du - was Sterbliche tun und getan haben. Nicht die große Welt der Natur, die überhaupt nicht. Wäre es die Welt der Natur, dann hätte ich vielleicht mehr Spaß daran, unsterblich zu sein, als ich es habe. Es sind die Leistungen der Sterblichen. Die Bilder von Rembrandt, die Gedenkstätten der Hauptstadt im Schnee, die großen Kathedralen. Und wir sind in alle Ewigkeit von diesen Dingen abgeschnitten - und zwar ganz zu Recht -, aber wir sehen sie doch mit unseren Vampiraugen.«
    »Warum hast du mit einem sterblichen Mann den Körper getauscht?«
    »Um einen Tag lang in der Sonne umherzulaufen. Um zu denken und zu fühlen und zu atmen wie ein Sterblicher. Vielleicht, um einen Glauben auf die Probe zu stellen.«
    »Was für einen Glauben?«
    »Daß wir alle uns wünschen, wieder sterblich zu sein. Daß es uns leid tut, dies aufgegeben zu haben. Daß die Unsterblichkeit den Verlust unserer menschlichen Seelen nicht aufwiegt. Aber jetzt weiß ich, daß ich mich geirrt habe.«
    Ich dachte plötzlich an Claudia. Ich dachte an meine Fieberträume. Eine bleierne Stille legte sich über mich. Als ich wieder sprach, erforderte es einen lautlosen Willensakt.
    »Ich bin viel lieber ein Vampir«, sagte ich. »Ich bin nicht gern sterblich. Es gefällt mir nicht, schwach zu sein, krank, gebrechlich, Schmerzen zu haben. Es ist ganz und gar schrecklich. Ich will meinen Körper von diesem Dieb zurückhaben, sobald es geht.«
    Sie schien ein bißchen schockiert zu sein. »Obwohl du tötest, wenn du in diesem anderen Körper bist? Obwohl du Menschenblut trinkst, und obwohl dir das verhaßt ist, und obwohl du dir selbst verhaßt bist?«
    »Es ist mir nicht verhaßt, und ich hasse mich auch nicht selbst. Verstehst du denn nicht? Das ist ja der Widerspruch. Ich habe mich nie selbst gehaßt.«
    »Du hast mir gesagt, du seist böse, und wenn ich dir helfen würde, würde ich dem Teufel helfen. So etwas würdest du nicht sagen, wenn dir das alles nicht verhaßt wäre.«
    Ich gab keine Antwort. Schließlich sagte ich: »Meine größte Sünde war immer, daß ich eine Menge Spaß daran hatte, ich selbst zu sein. Meine Schuld ist immer da, mein moralischer Abscheu gegen mich selbst ist immer da, aber ich habe Spaß dabei. Ich bin stark, ich bin ein Geschöpf mit einem starken Willen und einer mächtigen Leidenschaft. Siehst du, das ist der Kern des Dilemmas für mich - wie kann es mir solchen Spaß machen, ein Vampir zu sein, wie kann es mir Spaß machen, wenn es doch böse ist? Ah, das ist eine alte Geschichte. Die Menschen tüfteln es aus, wenn sie in den Krieg ziehen. Sie sagen sich, es gebe einen Grund dafür. Dann erleben sie die Erregung des Tötens, als wären sie bloße Tiere. Und Tiere kennen so etwas auch, sie kennen es wirklich. Die Wölfe kennen es. Sie kennen das nackte Entzücken beim Zerreißen einer Beute. Ich weiß das.«
    Sie schien lange ihren Gedanken nachzuhängen. Ich streckte die Hand aus und berührte die ihre.
    »Komm, leg dich hin und schlafe«, sagte ich. »Leg dich wieder zu mir. Ich werde dir nichts tun. Ich kann nicht. Ich bin zu krank.« Ich lachte kurz. »Du bist sehr schön«, sagte ich. »Ich würde mir nie einfallen lassen, dir etwas anzutun. Ich möchte nur in deiner Nähe sein. Der späte Abend kommt, und ich wünschte, du wolltest hier bei mir liegen.«
    »Du meinst alles, was du sagst, nicht wahr?«
    »Natürlich.«
    »Dir ist klar, daß du wie ein Kind bist, nicht? Du bist von großer Schlichtheit. Der Schlichtheit eines Heiligen.«
    Ich lachte. »Liebstes Gretchen, du mißverstehst mich in einem entscheidenden Punkt. Andererseits, vielleicht auch wieder nicht. Wenn ich an Gott glaubte, wenn ich

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