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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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an die Erlösung glaubte, dann müßte ich vermutlich ein Heiliger sein.«
    Sie überlegte eine ganze Weile, und dann sagte sie mit leiser Stimme, sie habe sich erst vor einem Monat aus der Mission in Übersee beurlauben lassen. Sie sei von Französisch-Guyana nach Georgetown gekommen, um hier an der Universität zu studieren, und im Krankenhaus habe sie nur als freiwillige Helferin gearbeitet.
    »Weißt du, was der eigentliche Grund für meinen Urlaub ist?« fragte sie.
    »Nein, sag s mir.«
    »Ich wollte einen Mann kennenlernen. Die Wärme in der Nähe eines Mannes. Nur einmal wollte ich es erleben. Ich bin vierzig Jahre alt, und ich habe nie einen Mann gekannt. Du hast von moralischem Abscheu gesprochen. Das waren deine Worte. Ich hatte einen Abscheu vor meiner Jungfräulichkeit - vor der nackten Vollkommenheit meiner Keuschheit. Sie kam mir - unabhängig von dem, was man glaubt - wie Feigheit vor.«
    »Das verstehe ich«, sagte ich. »In der Mission Gutes zu tun, hat ja letzten Endes sicher nichts mit Keuschheit zu tun.«
    »Doch, das hängt schon zusammen«, sagte sie. »Aber nur, weil man hart arbeiten kann, wenn man nicht abgelenkt ist, wenn man mit niemandem außer Christus verheiratet ist.«
    Ich gestand, daß ich wußte, was sie meinte. »Aber wenn die Selbstverleugnung schließlich zum Hindernis bei der Arbeit wird«, sagte ich, »dann ist es besser, die Liebe eines Mannes kennenzulernen, nicht wahr?«
    »Das dachte ich mir auch«, sagte sie. »Ja. Diese Erfahrung zu machen, und dann wieder zum Werk Gottes zurückzukehren.«
    »Genau.«
    Langsam und träumerisch sagte sie: »Ich habe den Mann gesucht. Für den Augenblick.«
    »Das ist also die Antwort auf die Frage, warum du mich hierhergebracht hast.«
    »Vielleicht«, sagte sie. »Weiß Gott, ich hatte solche Angst vor allen anderen. Vor dir habe ich keine Angst.« Sie schaute mich an, als sei sie von ihren eigenen Worten überrascht.
    »Komm, leg dich her und schlafe. Ich habe noch Zeit, gesund zu werden, und du, um sicher zu sein, daß du es wirklich willst. Ich würde nicht im Traum daran denken, dich zu zwingen oder dir irgend etwas Grausames anzutun.«
    »Aber wenn du der Teufel bist, warum kannst du dann mit solcher Güte sprechen?«
    »Ich sagte ja, das ist das Geheimnis. Oder es ist die Antwort. Das eine oder das andere. Komm, komm, leg dich zu mir.«
    Ich schloß die Augen. Ich spürte, wie sie unter die Decke kam, fühlte den warmen Druck ihres Körpers an meiner Seite, ihres Armes, der sich über meine Brust schob.
    »Weißt du«, sagte ich, »er gefällt mir beinahe, dieser Aspekt des Menschseins.«
    Ich war halb eingeschlafen, als ich sie flüstern hörte. »Ich glaube, es gibt auch einen Grund, weshalb du Urlaub genommen hast«, sagte sie. »Vielleicht kennst du ihn nicht.«
    »Zweifellos glaubst du mir nicht«, murmelte ich, und die Worte zerflossen träge ineinander. Wie köstlich es war, wieder meinen Arm um sie zu schlingen, ihren Kopf an meinen Hals zu schmiegen. Ich küßte ihr Haar, und es war wunderbar, seine weiche Nachgiebigkeit an meinen Lippen zu spüren.
    »Es gibt einen geheimen Grund, weshalb du auf die Erde herabgekommen bist«, sagte sie, »daß du den Leib eines Menschen angenommen hast. Es ist der gleiche Grund, den auch Christus hatte.«
    »Nämlich?«
    »Erlösung.«
    »Ah ja, erlöst zu werden. Wäre das nicht herrlich?«
    Ich wollte noch mehr sagen, wollte sagen, wie unmöglich es sei, so etwas auch nur in Betracht zu ziehen, aber ich entglitt in einen Traum. Und ich wußte, Claudia würde nicht da sein.
    Vielleicht war es gar kein Traum, sondern nur eine Erinnerung. Ich war mit David im Rijksmuseum, und wir schauten uns das große Gemälde von Rembrandt an.
    Erlöst zu werden. Was für ein Gedanke, was für ein schöner, extravaganter, unmöglicher Gedanke… Und wie schön, daß ich die eine sterbliche Frau auf der ganzen Welt gefunden hatte, die im Ernst an so etwas denken konnte.
    Und Claudia lachte nicht mehr. Denn Claudia war tot.

Fünfzehn
    F rüh am Morgen, kurz bevor die Sonne aufgeht. Die Zeit, da ich in der Vergangenheit oft in Meditation versunken war, müde und halb verliebt in den sich verändernden Himmel.
    Ich badete mich langsam und sorgfältig; das kleine Bad war von mattem Licht und Dampf erfüllt. Mein Kopf war klar, und ich empfand Glück, als sei die Erholung von der Krankheit eine Form von Freude. Ich rasierte mich behutsam, bis mein Gesicht ganz glatt war, und dann wühlte ich in dem kleinen

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