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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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aufsteigenden Tränen. In all der Zeit hatte ich dieses Wesen nur ganz selten berührt. Dieser Augenblick war von einer Gefühlswallung erfüllt, auf die ich nicht vorbereitet gewesen war. Die schlaftrunkene Wärme der Umarmungen mit Gretchen kam mir in den Sinn, und ich fühlte mich sicher. Und für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich vielleicht auch nicht mehr so allein.
    Aber ich hatte jetzt keine Zeit, diese Tröstung zu genießen.
    Widerstrebend löste ich mich von ihm, und noch einmal wurde mir bewußt, wie blendend David aussah. Ja, er beeindruckte mich so sehr, daß ich fast hätte glauben können, ich sei so jung wie der Körper, den ich jetzt bewohnte. Ich brauchte ihn so sehr.
    All die kleinen Makel des Alters, die ich mit meinen Vampiraugen natürlich gesehen hatte, waren jetzt unsichtbar. Die tiefen Furchen in seinem Gesicht schienen lediglich ein Teil seiner ausdrucksstarken Persönlichkeit zu sein, ebenso wie das ruhige Leuchten in seinen Augen. Er sah überaus kraftvoll aus in seiner höchst geziemenden Kleidung mit der kleinen, funkelnden Goldkette auf der Tweedweste - so solide und erfindungsreich und würdevoll.
    »Wissen Sie, was der Dreckskerl getan hat?« fragte ich. »Er hat mich übers Ohr gehauen und ist geflohen. Und die anderen haben mich im Stich gelassen. Louis, Marius - sie haben sich von mir abgewandt. Ich bin in diesem Körper gestrandet, mein Freund. Kommen Sie, ich muß sehen, ob das Ungeheuer meine Wohnung ausgeraubt hat.«
    Ich eilte auf die Wohnungstür zu und hörte kaum die paar Worte, die er sagte; er habe den Eindruck, daß niemand in der Wohnung etwas angerührt habe.
    Er hatte recht. Der Dämon hatte das Apartment nicht gefilzt! Alles war genau so, wie ich es verlassen hatte, bis hinunter zu meinem alten Samtmantel, der an der offenen Schranktür hing. Dort lag der gelbe Block, auf dem ich mir vor der Abreise Notizen gemacht hatte. Und der Computer. Ah, ich mußte mich sofort an den Computer setzen und das Ausmaß seiner Diebereien ermitteln. Und mein Pariser Agent - der Arme schwebte vielleicht immer noch in Lebensgefahr. Ich mußte sofort Kontakt mit ihm aufnehmen.
    Aber das Licht, das durch die gläsernen Wände hereinströmte, lenkte mich ab, die warme, weiche Pracht der Sonne, die auf die dunklen Sessel und Sofas flutete, auf den dicken Perserteppich mit dem hellen Medaillon und den Rosengirlanden und sogar auf die paar großen modernen Gemälde - lauter furiose Abstrakte -, die ich vor langer Zeit für diese Wände ausgesucht hatte. Ich merkte, wie mich bei diesem Anblick ein Schauer überlief, und wieder stellte ich mit Staunen fest, daß elektrische Beleuchtung niemals dieses besondere Gefühl des Wohlbehagens hervorbringen konnte, das mich jetzt erfüllte.
    Ich sah auch, daß in dem großen, weißgekachelten Kamin ein helles Feuer loderte - zweifellos Davids Werk -, und Kaffeeduft kam aus der Küche nebenan, einem Raum, in dem ich in den Jahren, in denen ich hier gewohnt hatte, kaum je gewesen war.
    Sofort stammelte David eine Entschuldigung. Er sei gar nicht erst in sein Hotel gegangen, so sehr habe er darauf gebrannt, mich zu finden. Er sei vom Flughafen geradewegs hierhergefahren und nur ausgegangen, um sich ein paar Vorräte zu beschaffen, damit er die Nacht über behagliche Wache halten könnte, sollte ich herkommen oder darauf verfallen, hier anzurufen.
    »Ausgezeichnet. Bin sehr froh, daß Sie das getan haben«, sagte ich, ein bißchen amüsiert über seine britische Höflichkeit. Ich war so froh, ihn zu sehen - und er entschuldigte sich dafür, daß er es sich hier ein bißchen behaglich gemacht hatte!
    Ich zog meinen nassen Mantel aus und setzte mich an den Computer.
    »Es dauert nur einen Moment«, sagte ich und gab die nötigen Befehle ein. »Dann erzähle ich Ihnen alles. Aber wieso sind Sie hergekommen? Haben Sie geahnt, was passiert ist?«
    »Natürlich«, sagte er. »Haben Sie nichts von dem Vampirmord in New York gehört? Nur ein Monster kann diese Büroräume so verwüstet haben. Lestat, warum haben Sie mich nicht angerufen? Warum haben Sie mich nicht um Hilfe gebeten?«
    »Moment«, sagte ich. Schon erschienen die kleinen Buchstaben und Zahlen auf dem Bildschirm. Meine Konten waren in Ordnung. Wenn der Dämon in diesem System gewesen wäre, hätte ich überall die programmierten Signale für sein Eindringen vorgefunden. Natürlich konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob er sich nicht an meine Konten auf den europäischen Banken herangemacht

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