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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Er hat sich einfach von dieser hehren Idee hinreißen lassen, daß ich meine Seele retten soll. Er an meiner Stelle würde das nämlich tun, wissen Sie. Und dennoch, er selbst würde es in gewisser Weise niemals tun. Und er hat mich nie verstanden. Nie. Deshalb hat er mich in seinem Buch immer wieder so lebendig und doch so ungenügend beschrieben. Wenn ich in diesem Körper gefangen bleibe und wenn er sieht, daß ich nicht die Absicht habe, zu Gretchen in den Dschungel von Französisch-Guyana zu gehen, dann wird er, denke ich, irgendwann nachgeben. Obwohl ich sein Haus niedergebrannt habe. Das könnte natürlich Jahre dauern! Jahre in diesem elenden …«
    »Sie werden wieder wütend«, sagte David. »Beruhigen Sie sich. Und was in aller Welt soll das heißen, Sie haben sein Haus niedergebrannt?«
    »Ich war erbost«, sagte ich in angespanntem Flüsterton. »Mein Gott. Erbost. Das ist nicht das richtige Wort.«
    Ich hatte gedacht, ich sei zu unglücklich gewesen, um erbost zu sein. Jetzt erkannte ich, daß das nicht stimmte. Aber ich war zu unglücklich, um weiter über diese Sache zu reden. Ich nahm noch einen kräftigenden Schluck von meinem starken schwarzen Kaffee und schilderte dann, so gut ich konnte, wie ich Marius neben der brennenden Hütte gesehen hatte. Marius hatte gewollt, daß ich ihn sah. Marius hatte ein Urteil gefällt, und ich wußte nicht, wie dieses Urteil wirklich lautete.
    Und jetzt überkam mich wirklich die kalte Verzweiflung und überlagerte den Zorn vollständig; lustlos starrte ich auf den Teller vor mir und schaute durch das halbleere Restaurant mit dem blinkenden Silberund den gefalteten Servietten, die wie kleine Hütchen auf lauter freien Tischen standen. Ich schaute hinaus zu den gedämpften Lichtern des Foyers, und die furchtbare Düsternis legte sich über alles. Dann sah ich David an, der bei aller Charakterstärke, seinem Einfühlungsvermögen und Charme doch nicht das Wunderwesen war, das er für meine Vampiraugen gewesen wäre, sondern nur ein anderer Sterblicher, zerbrechlich und am Rande des Todes wie ich.
    Ich fühlte dumpfes Elend und konnte nicht weiterreden.
    »Hören Sie«, sagte David, »ich glaube nicht, daß Ihr Marius die Kreatur vernichtet hat. Er hätte sich Ihnen nicht gezeigt, wenn er so etwas getan hätte. Ich kann mir natürlich nicht vorstellen, was ein solches Wesen denkt oder fühlt. Das kann ich mir nicht einmal bei Ihnen vorstellen, und ich kenne Sie, wie ich meine liebsten und ältesten Freunde kenne. Aber ich glaube nicht, daß er es tun würde. Er kam, um Ihnen zu zeigen, daß er zornig ist und daß er Ihnen seine Hilfe verweigert, und darin bestand sein Urteil, jawohl. Aber ich möchte annehmen, daß er Ihnen Zeit gibt, Ihren Körper zurückzuholen. Und Sie dürfen nicht vergessen: Wie immer Sie seinen Gesichtsausdruck wahrgenommen haben, Sie haben ihn mit den Augen eines menschlichen Wesens wahrgenommen.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte ich lustlos. »Um die Wahrheit zu sagen, was könnte ich denn anderes tun, als zu glauben, daß mein Körper noch da ist und ich ihn mir zurückholen kann?« Ich zuckte die Achseln. »Ich weiß doch nicht, wie ich ihn aufgeben soll.«
    Er lächelte mich an; es war ein reizendes, tiefgründiges, warmes Lächeln. »Sie haben ein prachtvolles Abenteuer erlebt«, sagte er. »Bevor wir uns jetzt überlegen, wie wir diesen glorifizierten Taschendieb fangen, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen eine Frage stelle. Und fahren Sie bitte nicht aus der Haut. Ich sehe schon, daß Sie Ihre eigenen Kräfte in diesem Körper ebenso wenig kennen wie in dem anderen.«
    »Kräfte? Was für Kräfte? Das hier ist eine schlaffe, schlenkernde, schlabbernde, widerliche Ansammlung von Nerven und Ganglien. Benutzen Sie nicht das Wort ›Kraft‹.«
    »Unfug. Sie sind ein großer, kerngesunder junger Mann von etwa einhundertneunzig Pfund ohne ein Gramm überflüssigen Fetts! Sie haben noch fünfzig Jahre Menschenleben vor sich. Um des lieben Himmels willen, seien Sie sich doch über die Vorteile im klaren, die Sie besitzen.«
    »Okay, okay. Es ist alles prima. Ich bin so glücklich, daß ich lebe!« Wenn ich nicht geflüstert hätte, hätte ich geheult. »Und heute mittag um halb eins könnte ich da draußen auf der Straße von einem Lastwagen niedergewalzt werden! Du lieber Gott, David, glauben Sie denn nicht, daß ich mich selbst verachte, weil ich diese schlichten Prüfungen nicht ertragen kann? Ich hasse das alles. Ich hasse es,

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