Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Porzellan, schwarze Smokings und gestärkte Hemden und Geschenkartikel waren in den flachen kleinen Schaufenstern ausgestellt.
Überall wanderten Passagiere umher, meistens recht alte Männer und Frauen in spärlicher Strandkleidung; viele waren unten in der ruhigen Tageslounge versammelt.
»Komm jetzt - die Kabinen«, sagte David und zog mich hinter sich her.
Die Penthouse-Suiten, zu denen wir wollten, lagen anscheinend ein wenig abseits vom Hauptteil des Schiffes. Wir mußten uns in die Queen’s Grill Lounge schleichen, eine langgestreckte, schmale, freundlich eingerichtete Bar, die für Topdeckpassagiere reserviert war, und dann einen mehr oder weniger geheimen Aufzug suchen, der uns zu diesen Räumlichkeiten hinauftrug. Diese Bar hatte große Fenster, hinter denen prachtvoll blaues Wasser und ein klarer Himmel zu sehen waren.
Das alles war das Reich der ersten Klasse bei den Transatlantikfahnen. Aber hier in der Karibik war diese Bestimmung aufgehoben; nur die Bar und das Restaurant waren für den Rest dieser schwimmenden kleinen Welt verschlossen.
Endlich kamen wir auf das oberste Deck des Schiffes und in einen Korridor, der ausgefallener dekoriert war als die anderen weiter unten. Die Plastiklampen hatten einen Touch von Art deco, und die Bespannung der Türen ebenfalls. Auch die Beleuchtung war großzügiger und heller. Ein freundlicher Kabinensteward - ein Gentleman von etwa sechzig Jahren - kam aus einer kleinen, mit einem Vorhang abgeteilten Pantry und brachte uns zu unseren Suiten am anderen Ende des Ganges.
»Die Queen-Victoria-Suite, wo ist die?« fragte David.
Der Steward antwortete sofort in einem ganz ähnlich klingenden britischen Akzent, daß die Victoria-Suite in der Tat nur zwei Kabinen weiter liege. Und er zeigte auf die Tür.
Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare sträubten, als ich sie anschaute. Ich wußte, ja, ich war mir absolut sicher, daß der Dämon dahinter war. Weshalb sollte er sich die Mühe machen, ein schwierigeres Versteck zu suchen? Niemand brauchte es mir zu sagen: Wir würden dort in dieser Suite an der Wand eine große Truhe finden. Ich nahm beiläufig zur Kenntnis, wie David allen Charme seines Auftretens aufwandte, um dem Steward zu erklären, er sei Arzt und habe vor, sich seinen lieben Freund Jason Hamilton anzuschauen, sobald er könne. Er wolle Mr. Hamilton indessen nicht beunruhigen.
Natürlich nicht, sagte der freundliche Steward und teilte uns mit, daß Mr. Hamilton den ganzen Tag zu schlafen pflege. Ja, auch jetzt sei er dort drinnen und schlafe. Sehen Sie, da hängt das »Nicht stören«-Schild am Türknauf. Aber wollten wir jetzt nicht unsere Zimmer beziehen? Da kam auch schon unser Gepäck.
Unsere Kabinen waren eine Überraschung für mich. Ich sah beide, als die Türen geöffnet wurden und bevor ich mich in meine eigene zurückzog.
Wiederum entdeckte ich nur synthetische Materialien, die alle sehr nach Plastik aussahen und nicht die Wärme von Holz verströmten. Aber die Räume waren ziemlich groß und sichtbar luxuriös, und es gab eine Verbindungstür, die beide zu einer großen Suite zusammenrügte. Diese Tür war jetzt aber geschlossen.
Die Kabinen waren bis auf kleine Farbunterschiede identisch eingerichtet, ganz wie elegant standardisierte Hotelzimmer: niedrige Kingsize-Betten mit Tagesdecken in sanften Pastelltönen, schmale Frisierkommoden, die in Spiegelwände eingelassen waren.
Es gab den obligatorischen Großbildfernseher und den geschickt verborgenen Kühlschrank, und es gab sogar eine kleine Sitzecke mit einer hellen, geschmackvoll geformten Couch, einem Tischchen und einem Sessel.
Aber die eigentliche Überraschung waren die Veranden. Durch große gläserne Schiebetüren gelangte man auf diese kleinen Privatbalkone hinaus, die breit genug waren, um Platz für Tisch und Stühle zu bieten. Welch ein Luxus, da hinauszutreten, am Geländer zu stehen und auf die hübsche Insel mit ihrer funkelnden Bucht zu schauen.
Und das bedeutete natürlich, daß auch die Queen-Victoria-Suite einen solchen Balkon haben würde, durch den die Morgensonne strahlend hell hineinschien!
Ich mußte leise lachen, als ich an unsere alten Schiffe aus dem neunzehnten Jahrhundert dachte, mit ihren winzigen Bullaugen. Und obgleich mir die blassen, kraftlosen Farben des Dekors und das völlige Fehlen echter, alter Oberflächenmaterialien sehr mißfielen, verstand ich allmählich, weshalb James von diesem ganz besonderen kleinen Reich so anhaltend fasziniert
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