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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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das man über eine Wendeltreppe erreichte. Ein drittes - immer noch recht hübsches stand den Passagieren der untersten Decks zur Verfügung. Wir gingen nach unten und vorbei an meinem geheimen Kabinenversteck. Dann entdeckten wir nicht einen, sondern gleich zwei Fitneßclubs mit Geräten zum Muskelaufbau und Dampfbädern zum Reinigen der Poren.
    Irgendwie stießen wir auch auf das kleine Lazarett, mit Schwestern in weißer Tracht und winzigen, hell erleuchteten Räumen; anderswo fanden wir einen großen, fensterlosen Raum voller Computer, an denen mehrere Personen schweigend arbeiteten. Es gab einen Schönheitssalon für Damen und ein ähnliches Pflegeetablissement für Herren. Einmal sahen wir ein Reisebüro, ein andermal so etwas wie eine Bank.
    Und immer ging es durch schmale Korridore, deren Ende wir nicht sehen konnten. Die mattbeigen Wände und Decken umschlossen uns immer wieder dicht. Eine scheußliche Teppichbodenfarbe folgte der anderen. Ja, manchmal stießen die grellen modernen Muster in den Durchgängen mit solcher Heftigkeit aneinander, daß ich fast laut aufgelacht hätte. Ich verlor den Überblick über die Zahl der Treppen mit ihren flachen, teppichgepolsterten Stufen. Ich konnte eine Aufzugreihe nicht mehr von der anderen unterscheiden. Wohin ich auch schaute, sah ich Kabinentüren mit Nummern. Die eingerahmten Bilder an den Wänden waren ausdruckslos und nicht voneinander zu unterscheiden. Wieder und wieder mußte ich vor einer Planzeichnung stehenbleiben, um festzustellen, wo ich wohl gewesen war und wo ich jetzt vielleicht hingehen würde, oder wie ich einem Kreisweg entkommen konnte, den ich jetzt vielleicht zum vierten- oder fünftenmal zurückgelegt hatte.
    David fand es mächtig amüsant, zumal da wir an fast jeder Ecke andere Passagiere trafen, die sich verlaufen hatten. Mindestens sechsmal halfen wir solchen sehr alten Leuten, den Weg zu einem bestimmten Raum zu finden. Und verirrten uns dann selbst wieder.
    Endlich gelang es uns durch irgendein Wunder, den Rückweg durch die schmale Queen’s Grill Lounge und zurück auf das geheime Signaldeck zu unseren Kabinen zu finden. Es war nur noch eine Stunde bis Sonnenuntergang, und die riesigen Maschinen dröhnten schon.
    Sobald ich meine Abendkleidung angezogen hatte - einen weißen Rollkragenpullover und einen leichten Baumwollkreppanzug -, trat ich hinaus auf den Balkon und sah, wie oben Rauch aus dem großen Schlot strömte. Das ganze Schiff vibrierte von der Kraft der Maschinen. Und das weiche Licht der Karibik verblaßte über den fernen Bergen.
    Eine wilde, wogende Erregung packte mich. Es war, als hätten die Vibrationen der Maschine meine Eingeweide erfaßt. Aber damit hatte es nichts zu tun. Es war nur der Gedanke, daß ich dieses strahlende natürliche Licht nie wieder sehen sollte. Das Licht, das in wenigen Augenblicken gehen sollte, würde ich sehen - das Zwielicht-, aber nie wieder das Sprühen der ersterbenden Sonne auf dem mosaikartig funkelnden Wasser, nie wieder ihren goldenen Glanz in fernen Fenstern oder den blauen Himmel über den wallenden Wolken, im klaren Glanz seiner letzten Stunde.
    Ich wollte mich an diesen Augenblick klammern, wollte jede einzelne dieser sanften, subtilen Veränderungen genießen. Dann wieder wollte ich es doch nicht. Vor Jahrhunderten hatte ich mich nicht von den Tageslichtstunden verabschiedet. Als die Sonne an jenem letzten schicksalhaften Tag untergegangen war, hatte ich mir nicht einfallen lassen, daß ich sie erst jetzt wiedersehen würde. Nicht im Traum!
    Sicher sollte ich doch jetzt hier stehen und die letzte süße Wärme spüren, diese kostbaren Momente des gesunden Lichts genießen.
    Aber eigentlich wollte ich es gar nicht. Eigentlich war es mir egal. Ich hatte das alles schon in Augenblicken gesehen, die weit kostbarer und wundervoller gewesen waren. Es war vorbei, nicht wahr? Bald würde ich wieder der Vampir Lestat werden.
    Langsam ging ich zurück in die Kabine. Ich betrachtete mich in dem großen Spiegel. Oh, dies würde die längste Nacht meines Daseins werden, dachte ich - länger noch als die furchtbare Nacht in Kälte und Krankheit in Georgetown. Und was ist, wenn wir scheitern?
    David erwartete mich auf dem Gang, wie immer überaus adrett in seinem weißleinenen Anzug. Wir müßten von hier verschwinden, sagte er, ehe die Sonne in die Wellen unterginge. Ich war nicht so sehr erpicht darauf. Ich nahm nicht an, daß diese linkische, idiotische Kreatur bei der ersten Gelegenheit aus

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