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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihrer Kiste in das brennende Zwielicht hinausspringen würde, wie ich es so gern getan hatte. Im Gegenteil, der Kerl würde wahrscheinlich eine Weile ängstlich im Dunkeln liegen bleiben, bevor er herauskäme.
    Und was würde er dann tun? Die Vorhänge zu seinem Balkon öffnen und das Schiff auf diesem Wege verlassen, um irgendeine unglückliche Familie am fernen Ufer auszurauben? Ah, aber Grenada hatte er bereits heimgesucht. Vielleicht wollte er sich ausruhen.
    Wir konnten es nicht wissen.
    Wir huschten wieder hinunter in die Queen’s Grill Lounge und dann hinaus aufs windige Deck. Viele Fahrgäste waren herausgekommen, um zuzuschauen, wie das Schiff den Hafen verließ. Die Mannschaft traf die letzten Vorbereitungen. Dicker grauer Rauch quoll aus dem Schlot ins schwindende Licht des Tages.
    Ich legte die Arme auf die Reling und schaute hinüber zur weitgeschwungenen Küste. Die endlos rollenden Wellen fingen das Licht und hielten es fest in tausend verschiedenen Nuancen und Abstufungen von Klarheit. Aber um wieviel mannigfacher und durchscheinender würde es in meinen Augen aussehen, wenn der nächste Abend käme! Und doch - als ich es so anschaute, vergaß ich alle Gedanken an die Zukunft. Ich verlor mich in der schieren Majestät des Meeres, in dem feurig roten Licht, das jetzt das Azurblau des endlosen Himmels durchdrang und verwandelte.
    Die Sterblichen ringsumher wurden still. Kaum jemand sprach. Die Leute versammelten sich am windigen Bug, um diesem Augenblick zu huldigen. Die Brise war seiden und duftend. Die dunkelorangefarbene Sonne, die noch wie ein Auge über den Horizont lugte, bestrahlte die Unterseite der massigen Wolkenberge. Rosiges Licht stieg immer höher in den grenzenlosen, leuchtenden Himmel, und durch diesen prachtvollen Farbendunst drang das erste glitzernde Funkeln der Sterne.
    Das Wasser wurde dunkler, und unten schlugen die Wellen heftiger an den Rumpf. Ich erkannte, daß das große Schiff sich bewegte. Und plötzlich brach ein tiefer, wild vibrierender Pfiff aus ihm hervor, ein Aufschrei, der mir Angst und Erregung bis ins Mark trieb. So langsam und gleichmäßig war die Bewegung, daß ich das ferne Ufer fest im Auge behalten mußte, um sie zu erkennen. Wir bogen nach Westen ins ersterbende Licht.
    Ich sah, daß Davids Augen glasig geworden waren. Mit der rechten Hand umklammerte er die Reling. Er starrte zum Horizont, zu den aufsteigenden Wolken und dem tiefrosafarbenen Himmel dahinter.
    Ich wollte etwas zu ihm sagen - etwas Schönes und Wichtiges, das meine tiefe Liebe zu ihm erkennen ließ. Mir war plötzlich, als wollte sie mir das Herz brechen, und langsam wandte ich mich ihm zu und legte die Hand auf die seine.
    »Ich weiß es«, flüsterte er. »Glaub mir, ich weiß es. Aber du mußt jetzt klug sein. Schließe es fest in dir ein.«
    Ah ja, laß den Schleier herunter. Sei einer unter zahllosen Hunderten, verschlossen und schweigend und allein. Allein sein. Und dieser Tag, mein letzter als Sterblicher, war zu Ende.
    Wieder ertönte die machtvoll vibrierende Sirene.
    Das Schiff hatte die Wende fast vollzogen und fuhr auf das offene Meer zu. Der Himmel verdunkelte sich zusehends, und es wurde Zeit, daß wir uns auf die unteren Decks zurückzogen und uns in irgendeiner von lärmendem Betrieb erfüllten Lounge ein Eckchen suchten, in dem wir unbeobachtet wären.
    Ich warf noch einen letzten Blick auf den Himmel und erkannte, daß das Licht jetzt restlos verschwunden war, und mein Herz wurde kalt. Ein dunkles Frösteln ging über mich hinweg. Aber ich konnte den Verlust des Lichtes nicht bedauern. Ich konnte es nicht. Alles, was ich mir mit meiner ganzen monströsen Seele wünschte, waren meine Vampirkräfte: Ich wollte sie wiederhaben. Aber die Erde selbst schien Edleres zu verlangen: daß ich weinte um das, worauf ich hier verzichtete. Ich konnte es nicht. Ich fühlte Trauer, und das niederschmetternde Scheitern meines menschlichen Wagnisses lastete in der Stille auf mir, während ich regungslos dastand und den sanften, warmen Wind im Gesicht spürte.
    David zog sanft an meinem Arm.
    »Ja, laß uns hinuntergehen«, sagte ich und wandte dem milden karibischen Himmel den Rücken zu. Es war Nacht. Und meine Gedanken waren bei James, und nur bei James.
    Oh, wie gern hätte ich einen Blick auf den Trottel geworfen, wenn er sich aus seinem seidenen Versteck erhob! Aber das war viel zu riskant. Es gab keinen Standort, von dem aus wir ihn hätten gefahrlos beobachten können. Wir konnten jetzt

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