Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
durchs Gesicht. Ich umarmte und küßte ihn und vergrub mein Gesicht in seinem warmen, glänzenden Fell. Ich sah ihn wieder so wie an jenem ersten Abend in Georgetown - sah seine wilde Kraft und seine große Sanftheit.
    Hatte je ein Tier so furchterregend und zugleich so ruhig und liebevoll ausgesehen? Es war eine wundersame Kombination. Ich kniete auf den alten Steinplatten, rang mit ihm, rollte ihn auf den Rücken und vergrub den Kopf in dem dichten Fellkragen an seiner Brust. Er gab alle diese leisen knurrenden und fiependen und japsenden Laute von sich, wie Hunde es tun, wenn sie jemanden lieben. Und wie liebte ich ihn!
    Was meine Mieterin anging, die liebe alte Frau, die all das von ihrer Küchentür aus mit ansah, so weinte sie bittere Tränen, weil sie ihn gehen lassen sollte. Sofort schlössen wir einen Handel ab. Sie würde für ihn sorgen, und ich würde durch das Gartentor zu ihm kommen, wann immer ich Lust dazu hatte. Was für eine göttliche Lösung, denn es wäre sicher nicht fair gewesen, von ihm zu erwarten, daß er mit mir in einer Krypta schlief, und ich brauchte auch keinen solchen Wächter, so anmutig mir die Vorstellung auch hin und wieder erschien.
    Ich gab der alten Frau einen Kuß, sanft und schnell, damit sie nicht merkte, daß sie sich in der Nähe eines Dämons befand, und dann zog ich mit Mojo los; ich spazierte mit ihm durch die hübschen, schmalen Straßen des French Quarter und lachte, als ich sah, wie die Sterblichen Mojo anstarrten und einen weiten Bogen um ihn machten; sie schienen wirklich Angst vor ihm zu haben, während sie doch allen Grund gehabt hätten, jemand anders viel mehr zu fürchten.
    Meine nächste Station war das Gebäude in der Rue Royale, wo Claudia, Louis und ich diese prachtvollen, leuchtenden fünfzig Jahre irdischen Daseins in der ersten Hälfte des alten Jahrhunderts miteinander verbracht hatten - ein Gebäude, das teilweise verfallen war, wie ich schon sagte.
    Ein junger Mann hatte den Auftrag, sich mit mir auf dem Grundstück zu treffen, ein begabter Mensch, der in dem Ruf stand, trostlose Häuser in palastartige Villen verwandeln zu können. Ihn führte ich nun die Treppe hinauf in die verfallene Wohnung.
    »Ich will, daß alles wieder wird, wie es vor über hundert Jahren war«, sagte ich. »Aber wohlgemerkt: nichts Amerikanisches, nichts Englisches. Nichts Viktorianisches. Es muß ganz und gar französisch sein.« Und ich unternahm mit ihm einen flotten Marsch durch alle Zimmer, und er kritzelte hastig in sein kleines Buch, obwohl er in der Dunkelheit kaum etwas sehen konnte; ich erzählte ihm, welche Tapeten ich hier haben wollte und welchen Emailton an jener Tu» dort. Was für eine Art Bergère er für diese Ecke auftreiben könnte und was für indische oder persische Teppiche für diesen oder jenen Fußboden angeschafft werden müßten.
    Wie klar meine Erinnerungen waren.
    Immer wieder ermahnte ich ihn, sich jedes Wort zu notieren. »Sie müssen eine griechische Vase besorgen; nein, eine Reproduktion genügt nicht, und sie muß so hoch sein und mit tanzenden Figuren bemalt.« Ah, war das nicht die Ode von Keats gewesen, die mich vor Zeiten zu diesem Kauf inspiriert hatte? Was war aus dieser Urne geworden? »Und der Kamin da - das ist nicht das Originalsims. Sie müssen eins aus weißem Marmor suchen, mit solchen Schneckenverzierungen, und über dem Feuerrost muß ein Bogen sein. Ach, und die Kamine müssen repariert werden. Man muß Kohle darin verbrennen können. Ich werde hier wieder wohnen, wenn Sie fertig sind«, sagte ich. »Also beeilen Sie sich. Und noch etwas, worauf ich Sie aufmerksam machen muß: Alles, was Sie hier finden - unter dem alten Putz versteckt -, müssen Sie mir geben.«
    Was für ein Genuß es war, in diesen hohen Räumen zu stehen, und was für eine Freude es sein würde, sie zu sehen, wenn der weiche, zerbröckelnde Stuck restauriert wäre. Wie frei und ruhig ich mich fühlte. Die Vergangenheit war hier, aber sie war doch nicht hier. Keine wispernden Geister mehr, wenn es je welche gegeben hatte. Gemächlich beschrieb ich die Kronleuchter, die ich mir wünschte; wenn mir die richtigen Bezeichnungen fehlten, malte ich Bilder aus Worten für ihn, die ihm zeigten, was es hier einmal gegeben hatte. Hier und da wollte ich auch Öllampen haben, obgleich es natürlich überall elektrischen Strom geben mußte, und die diversen Fernsehgeräte würden wir in hübschen Schränken verstecken, um die Gesamtwirkung nicht zu beeinträchtigen.

Weitere Kostenlose Bücher