Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Mozart.
Oh, mein Liebling, ich wünschte, du wärest hier!
Und meine dunkle Seele ist wieder glücklich, weil sie etwas anderes nie lange sein kann und weil der Schmerz ein tiefes, dunkles Meer ist, in dem ich ertrinken würde, wenn ich mein kleines Schiff nicht unbeirrt über seine Oberfläche lenken wollte, gleichmäßig einer Sonne entgegen, die niemals aufgehen wird.
Mitternacht war inzwischen vorbei; die kleine Stadt summte leise um mich herum. Ein Chor aus gemischten Stimmen klang herauf, das leise Rattern eines fernen Zuges, das gedämpfte Heulen einer Sirene auf dem Fluß, das Rumpeln des Verkehrs auf der Rue Esplanade.
Ich ging nach vorn in den alten Salon und betrachtete die blassen Lichtflecken, die durch die Glasscheiben in der Tür fielen. Ich legte mich auf den nackten Holzboden, und Mojo legte sich neben mich, und wir schliefen.
Ich träumte nicht von ihr. Warum also weinte ich leise, als es schließlich Zeit wurde, mich in die sichere Obhut meiner Krypta zu begeben? Und wo war mein Louis, mein verräterischer, halsstarriger Louis? Schmerz. Ah, und es würde noch schlimmer werden, nicht wahr, wenn ich Louis demnächst wiedersähe.
Erschrocken merkte ich, daß Mojo mir die Bluttränen von den Wangen leckte. »Nein, das darfst du niemals tun!« sagte ich und legte ihm die Hand aufs Maul. »Niemals, niemals dieses Blut. Dieses böse Blut.« Ich war zutiefst erschüttert. Er gehorchte sofort und zog sich auf seine bedächtige, würdevolle Art ein kleines Stück zurück.
Wie absolut dämonisch sahen seine Augen aus, als er mich jetzt anschaute. Was für ein Trugbild! Ich küßte ihn auf den zartesten Flecken in seinem langen, pelzigen Gesicht, dicht unter den Augen.
Wieder dachte ich an Louis, und der Schmerz überfiel mich, als hätte ich von einem der Alten einen heftigen Schlag vor die Brust bekommen.
Ja, meine Empfindungen waren so bitter und so unbeherrschbar, daß ich Angst bekam und einen Augenblick lang an nichts denken und nichts fühlen konnte außer diesen Schmerz.
Vor meinem geistigen Auge sah ich all die anderen. Ich ließ ihre Gesichter emporsteigen, als wäre ich die Hexe von Endor, die an ihrem Kessel steht und die Bilder der Toten heraufbeschwört.
Maharet und Mekare, die rothaarigen Zwillinge, sah ich zusammen - die Ältesten von uns, die von meinem Dilemma vielleicht nicht einmal etwas wußten, so fern waren sie uns in ihrem großen Alter und ihrer Weisheit, so tief versunken in ihre eigenen unausweichlichen, zeitlosen Betrachtungen; Eric und Mael und Khayman sah ich vor mir, die mich kaum interessierten, selbst wenn sie sich wissentlich geweigert hätten, mir zu Hilfe zu kommen. Sie waren nie meine Gefährten gewesen. Was kümmerten sie mich? Ich sah Gabrielle, meine geliebte Mutter, die sicher nichts von meinem schrecklichen Wagnis gewußt hatte, weil sie zweifellos auf irgendeinem fernen Kontinent wandelte, eine schroffe Göttin, die nur mit dem Unbeseelten Gemeinschaft pflegte, wie sie es immer gehalten hatte. Ich wußte nicht, ob sie sich noch von Menschen ernährte;
dunkel erinnerte ich mich, daß sie mir beschrieben hatte, wie sie irgendein dunkles Waldtier umarmte. War sie wahnsinnig, meine Mutter, wo immer sie sein mochte? Ich glaubte es nicht. Daß sie noch existierte, dessen war ich sicher. Daß ich sie nie finden würde, daran zweifelte ich nicht.
Pandora stellte ich mir als nächstes vor. Pandora, die Geliebte Marius, mochte schon vor langer Zeit zugrunde gegangen sein. Marius hatte sie in römischer Zeit geschaffen, und sie war am Rande der Verzweiflung gewesen, als ich sie das letztemal gesehen hatte. Vorjahren war sie ohne Ankündigung fortgegangen, hatte unseren letzten wahren Zirkel verlassen - als eine der ersten.
Was Santino, den Italiener anging, so wußte ich fast nichts von ihm. Ich hatte auch nichts erwartet. Er war jung. Vielleicht hatten meine Rufe ihn nie erreicht. Und warum hätte er auf sie hören sollen, wenn sie ihn doch erreicht hatten?
Dann rief ich mir Armand vor Augen. Meinen alten Feind und Freund Armand. Meinen alten Gegner und Gefährten Armand. Armand, das engelhafte Kind, das Night Island geschaffen hatte, unsere letzte Heimat.
Wo war Armand? Hatte Armand mich absichtlich meinem Schicksal überlassen? Ja, warum auch nicht?
Und nun will ich zu Marius kommen, dem großen, alten Meister, der Armand in Liebe und Zärtlichkeit vor so vielen Jahrhunderten geschaffen hatte; Marius, den ich so viele Jahrzehnte hindurch gesucht hatte;
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