Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Schmerzen sogar in den Haarwurzeln. Ich hatte solche Schmerzen, daß ich mich trotz aller Willensaufbietung nicht bewegen konnte.
Stundenlang lag ich da. Hin und wieder stöhnte ich leise. Es änderte nichts an dem Schmerz, den ich empfand. Wenn ich meine Glieder auch nur ein bißchen bewegte, scheuerte der Sand wie winzige, scharfe Glassplitter an meinem Rücken, meinen Waden und meinen Fersen.
Ich dachte an all die, die ich zu Hilfe hätte rufen können. Ich rief nicht. Erst nach und nach wurde mir klar, daß die Sonne natürlich wiederkommen würde, wenn ich hierbliebe, und dann würde sie mich noch einmal erfassen und noch einmal verbrennen. Aber vielleicht würde ich dann immer noch nicht sterben.
Ich mußte bleiben, oder? Nur ein Feigling würde jetzt Schutz suchen, oder? Aber ich brauchte mir nur meine Hände im Licht der Sterne anzuschauen, um zu wissen, daß ich nicht sterben würde. Ich war verbrannt, ja, meine Haut war braun und runzlig und schrie vor Schmerzen. Aber ich war dem Tod nicht einmal nahe.
Schließlich wälzte ich mich herum und versuchte, mein Gesicht im Sand ruhen zu lassen, aber das war auch nicht angenehmer, als zu den Sternen hinaufzustarren.
Dann fühlte ich, wie die Sonne aufging. Ich weinte, als das mächtige orangegelbe Licht sich über die ganze Welt ergoß. Der Schmerz erfaßte zuerst meinen Rücken; dann dachte ich, mein Kopf brenne und werde gleich explodieren, und das Feuer zerfresse meine Augen. Ich war wahnsinnig, als die Dunkelheit des Vergessens sich über mich senkte, absolut wahnsinnig.
Als ich am nächsten Abend erwachte, fühlte ich Sand im Mund, und Sand bedeckte mich in meiner Qual. In meinem Wahnsinn hatte ich mich anscheinend lebendig begraben.
Stundenlang blieb ich in diesem Zustand und dachte nur daran, daß dieser Schmerz mehr war, als irgendein Geschöpf ertragen konnte.
Schließlich wühlte ich mich an die Oberfläche, winselnd wie ein Tier, und stellte mich mühsam auf die Füße; jede Bewegung zerrte an diesem Schmerz und verstärkte ihn. Mit der Kraft meines Willens erhob ich mich in die Luft und machte mich auf die langsame Reise nach Westen, in die Nacht.
Meine Kräfte hatten sich nicht verringert. Ah, nur die Oberfläche meines Körpers war aufs tiefste verletzt.
Der Wind war unendlich viel weicher als der Sand. Gleichwohl quälte er mich auf seine Weise: wie Finger, die über meine verbrannte Haut strichen und an den verbrannten Wurzeln meiner Haare zerrten. Er brannte auf meinen verkohlten Augenlidern, schrammte über meine versengten Knie.
Stundenlang reiste ich sanft dahin, strebte mit meinem Willen noch einmal Davids Haus zu und empfand für ein paar Augenblicke lang die herrlichste Erleichterung, als ich durch den kalten, nassen Schnee hinunterschwebte.
Es war kurz vor dem Morgengrauen in England.
Ich gelangte wieder durch die Hintertür ins Haus; jeder Schritt war eine qualvolle Strapaze. Fast blind fand ich die Bibliothek, fiel auf die Knie, ohne auf den Schmerz zu achten, und brach auf dem Tigerfell zusammen.
Ich ließ den Kopf neben den Tigerschädel sinken und schmiegte die Wange an den aufgesperrten Rachen. So ein feines, dichtes Fell! Ich streckte die Arme auf seinen Beinen aus und fühlte die glatten, harten Krallen unter meinen Handgelenken. Der Schmerz durchzog mich in Wellen. Das Fell fühlte sich beinahe seidig an, und der Raum war kühl und dunkel. Und im matten Schimmer lautloser Visionen sah ich den Mangrovenwald in Indien, ich sah dunkle Gesichter und hörte ferne Stimmen. Und einmal sah ich einen Moment lang ganz deutlich David als jungen Mann, wie ich ihn in meinem Traum gesehen hatte.
Er erschien mir wie ein Wunder, dieser lebendige junge Mann, lauter Blut und Gewebe und solche Wunderwerke wie Augen und ein klopfendes Herz und fünf Finger an jeder schlanken Hand.
Ich sah mich durch Paris gehen, in den alten Zeiten, als ich noch lebendig war. Ich trug den roten Samtmantel, gefüttert mit dem Pelz der Wölfe, die ich in meiner Heimat in der Auvergne erlegt hatte, und ich ließ mir nicht träumen, daß da Dinge in der Dunkelheit lauerten, Dinge, die einen sehen und sich in einen verlieben konnten, nur weil man jung war, Dinge, die einem das Leben nehmen konnten, nur weil sie einen liebten und man ein ganzes Rudel Wölfe erlegt hatte…
David, der Jäger! In gurtumspanntem Khaki, mit diesem prachtvollen Gewehr.
Langsam wurde mir bewußt, daß der Schmerz bereits nachgelassen hatte. Der gute alte Lestat, der
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