Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Gottessohnes, wienerte. Ich hatte das Satinfutter der Kiste geliebt. Ich hatte ihre Form geliebt und auch den Dämmerungsakt der Auferstehung von den Toten. Aber das war vorbei…
Die Sonne ging wirklich auf, die kalte Wintersonne Englands. Ich spürte es ganz deutlich, und plötzlich hatte ich Angst. Ich fühlte das Licht, wie es sich draußen über die Erde heranstahl und gegen die Fenster schlug. Aber die Dunkelheit hielt sich auf dieser Seite der Samtvorhänge.
Ich sah, wie die kleine Flamme der Öllampe emporstieg. Sie machte mir angst, denn ich hatte solche Schmerzen, und es war eine Flamme. Ihre kleinen, runden Finger an dem goldenen Schlüssel, und dieser Ring, dieser Ring, den ich ihr geschenkt hatte, mit dem kleinen, von Perlen umfaßten Diamanten. Was war mit dem Medaillon? Sollte ich sie nach dem Medaillon fragen? Claudia, gab es einmal ein goldenes Medaillon …?
Sie drehte die Flamme immer höher. Wieder dieser Geruch. Ihre Hand mit den Grübchen. Überall in der langgestreckten Wohnung in der Rue Royale konnte man den Geruch von Öl riechen. Ah, diese alte Tapete und die hübschen, handgearbeiteten Möbel und Louis, der schreibend an seinem Schreibtisch saß; der scharfe Geruch der schwarzen Tinte, das stumpfe Kratzen des Federkiels …
Ihre kleine Hand berührte meine Wange, so köstlich kalt. Das unbestimmte Kribbeln, das mich durchzittert, wenn einer der anderen mich berührt, unsere Haut.
»Warum sollte irgend jemand wollen, daß ich lebe?« fragte ich. Zumindest wollte ich es fragen - und dann war ich einfach nicht mehr da.
Vier
D ämmerung. Die Schmerzen waren immer noch stark. Ich wollte mich nicht bewegen. Die Haut auf meiner Brust und an meinen Beinen spannte sich und kribbelte, doch das gab dem Schmerz nur Vielfalt.
Sogar der Blutdurst, rasend wild, und der Blutgeruch der Diener im Haus konnten mich nicht dazu bringen, mich zu bewegen. Ich wußte, David war da, aber ich sprach nicht mit ihm. Ich dachte, wenn ich es versuchte, würde ich vor Schmerzen weinen.
Ich schlief, und ich weiß, daß ich träumte, aber ich konnte mich an die Träume nicht erinnern, als ich die Augen wieder öffnete. Ich sah dann die Öllampe wieder, und das Licht machte mir immer noch angst. Und ihre Stimme auch.
Einmal wachte ich auf, während ich im Dunkeln mit ihr sprach. »Warum ausgerechnet du? Warum du in meinen Träumen? Wo ist dein verdammtes Messer?«
Ich war dankbar, als der Morgen dämmerte. Manchmal hatte ich die Zähne absichtlich fest zusammengebissen, um nicht vor Schmerzen aufzuschreien.
Als ich am zweiten Abend erwachte, war der Schmerz nicht mehr sehr groß. Mir taten alle Glieder weh, und ich fühlte mich, wie die Sterblichen vielleicht sagen würden, »wund«. Aber die Agonie war ohne Zweifel vorbei. Ich lag immer noch auf dem Tiger, und im Zimmer war es ein wenig unbehaglich und kalt.
Im steinernen Kamin waren Holzscheite gestapelt, weit hinten unter dem geknickten Bogen, vor den geschwärzten Ziegeln. Kienspan war auch da und ein bißchen zerknülltes Zeitungspapier. Alles bereit. Hmmm. Jemand war mir gefährlich nahe gekommen, als ich schlief. Ich hoffte inständig, daß ich nicht, wie wir es manchmal in Trance tun, nach diesem armen Geschöpf gegriffen und es festgehalten hatte.
Ich schloß die Augen und lauschte. Schnee fiel auf das Dach, Schnee wirbelte durch den Kamin herab. Ich öffnete die Augen und sah die funkelnd feuchten Tropfen auf dem Feuerholz.
Dann konzentrierte ich mich und spürte, wie die Energie aus mir hervorsprang wie eine lange, dünne Zunge und die Kienspäne berührte, die sich sofort in tanzenden Flämmchen entzündeten. Die dick verkrustete Oberfläche der Holzscheite erwärmte sich und warf Blasen. Dann war das Feuer im Gange.
Ich fühlte einen plötzlichen Schwall von köstlichem Schmerz auf Stirn und Wangen, als das Licht heller wurde. Interessant. Ich richtete mich auf den Knien auf und stand dann allein mitten im Zimmer. Ich warf einen Blick auf die Messinglampe neben Davids Sessel. Mit einer knappen, lautlosen Geistesanstrengung knipste ich sie an.
Auf einem Stuhl lagen Kleider: eine neue Hose aus dickem, weichem dunklen Flanell, ein weißes Baumwollhemd und eine ziemlich formlose Jacke aus altem Wollstoff. Alles war ein bißchen zu groß; es hatte David gehört. Selbst die pelzgefütterten Pantoffeln waren zu groß. Aber ich wollte bekleidet sein. Gewöhnliche Baumwollunterwäsche war auch da, von der Sorte, wie sie im zwanzigsten Jahrhundert jeder
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