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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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trägt, und einen Kamm für mein Haar gab es ebenfalls.
    Ich ließ mir Zeit mit allem und bemerkte nur eine pochende Wundheit, als ich den Stoff über die Haut zog. Meine Kopfhaut tat weh, als ich mich kämmte. Schließlich schüttelte ich mein Haar einfach aus, bis aller Sand und Staub herausgefallen und auf den dicken Teppich gerieselt war, wo er praktischerweise nicht mehr zu sehen war. Die Pantoffeln anzuziehen, war sehr angenehm. Aber was ich jetzt wollte, war ein Spiegel.
    Ich fand einen in der Diele, einen alten, dunklen Spiegel in einem schweren vergoldeten Rahmen. Durch die offene Bibliothekstür fiel genug Licht, so daß ich mich ziemlich gut sehen konnte.
    Einen Moment lang konnte ich nicht recht glauben, was ich da sah. Meine Haut war überall glatt, so völlig makellos, wie sie es immer gewesen war. Aber sie war jetzt bernsteinfarben, von der gleichen Farbe wie der Spiegelrahmen, und glänzte nur sehr leicht, nicht mehr als die eines Sterblichen, der einen langen, luxuriösen Urlaub in tropischen Meeren verbracht hat.
    Meine Brauen und Wimpern leuchteten hell, wie es bei dem blonden Haar dieser sonnengebräunten Individuen immer der Fall ist, und die wenigen Falten in meinem Gesicht, die das Geschenk der Finsternis mir gelassen hatte, waren ein bißchen tiefer eingeprägt als früher. Damit meine ich zwei kleine Kommas an meinen Mundwinkeln, die daher rühren, daß ich soviel gelächelt habe, als ich noch lebte, und ein paar sehr feine Fältchen an meinen Augenwinkeln sowie die Spur von ein oder zwei waagerechten Falten auf meiner Stirn. Sehr hübsch, sie wiederzuhaben, denn ich hatte sie lange nicht gesehen.
    Meine Hände hatten mehr gelitten. Sie waren dunkler als mein Gesicht und sahen sehr menschlich aus mit ihren vielen kleinen Runzeln, die mich sofort daran denken ließen, wie viele kleine Falten die Hände Sterblicher tatsächlich haben.
    Die Nägel glitzerten immer noch auf eine Art und Weise, die Menschen erschrecken könnten, aber es wäre kein Problem, ein wenig Asche darauf zu verreiben. Mit meinen Augen war es natürlich eine andere Sache. Nie zuvor hatten sie so hell und irisierend ausgesehen. Aber eine getönte Brille wäre alles, was ich brauchte. Die Maske einer großen schwarzen Sonnenbrille zur Tarnung der leuchtendweißen Haut war nicht mehr nötig.
    Oh, ihr Götter, wie makellos und wundervoll! dachte ich, als ich mein Spiegelbild betrachtete. Du siehst fast aus wie ein Mensch! Fast wie ein Mensch! Ich fühlte den dumpfen Schmerz überall in dem verbrannten Gewebe, aber es war ein gutes Gefühl, als erinnere es mich an die Form meines Körpers und an seine menschlichen Grenzen.
    Ich hätte schreien können. Statt dessen betete ich. Möge dies von Dauer sein, und wenn es das nicht ist, mache ich alles noch einmal.
    Dann fiel es mir einigermaßen niederschmetternd ein: Es war ja darum gegangen, mich zu vernichten, nicht etwa darum, mein Aussehen zu vervollkommnen, damit ich mich um so besser unter den Menschen bewegen könnte. Ich sollte jetzt eigentlich im Sterben liegen. Und wenn die Sonne über der Wüste Gobi das nicht vermocht hatte… wenn dieser ganze lange Tag in der Sonne und der zweite Sonnenaufgang…
    Ah, du Feigling, dachte ich; du hättest doch einen Weg finden können, auch an diesem zweiten Tag an der Erdoberfläche zu bleiben! Oder?
    »Na, Gott sei Dank, daß Sie sich entschieden haben zurückzukommen.«
    Ich drehte mich um und sah David die Diele herunterschreiten. Er war gerade erst nach Hause gekommen; sein dunkler, schwerer Mantel war naß vom Schnee, und er hatte nicht einmal die Stiefel ausgezogen.
    Erblieb unvermittelt stehen und musterte mich von Kopf bis Fuß; er blinzelte, um im Halbdunkel besser sehen zu können. »Ah, die Sachen werden gehen«, meinte er. »Guter Gott, Sie sehen aus wie einer von diesen Strandläufern, diesen jungen Kerlen, die immer nur im Urlaub sind.«
    Ich lächelte.
    Er griff nach mir - ziemlich tapfer, fand ich -, nahm mich bei der Hand und führte mich in die Bibliothek, wo das Feuer inzwischen ziemlich kräftig brannte. Dort betrachtete er mich noch einmal.
    »Sie haben keine Schmerzen mehr«, sagte er zögernd.
    »Es ist ein Gefühl, aber eigentlich nicht das, was wir Schmerzen nennen. Ich gehe jetzt für ein Weilchen aus. Oh, keine Sorge, ich komme zurück. Ich habe Durst. Ich muß auf die Jagd.«
    Sein Gesicht wurde ausdruckslos, aber nicht so sehr, daß ich nicht das Blut in seinen Wangen hätte sehen können oder all die

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