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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sagte er, »ich bin einsam, und ich bin auch zuweilen ein Tor, wie es jedermann sein muß, wenn er überhaupt ein Quentchen Weisheit besitzt. Aber arm bin ich nicht, dem Himmel sei Dank.«
    »Und was ist in Brasilien passiert? Wie hat es angefangen?« Er setzte zum Sprechen an und schwieg dann. »Haben Sie wirklich vor hierzubleiben? Sich anzuhören, was ich zu sagen habe?« fragte er schließlich.
    »Ja«, sagte ich sofort. »Bitte.« Ich wußte plötzlich, daß ich mir nichts auf der Welt sehnlicher wünschte. Es gab keinen Plan, keinen Ehrgeiz in meinem Herzen, keinen Gedanken an irgend etwas außer daran, hier bei ihm zu sein. Die Schlichtheit dieser Tatsache war beinahe betäubend.
    Dennoch schien es ihm zu widerstreben, sich mir anzuvertrauen. Doch dann ging eine kaum spürbare Veränderung in ihm vor, eine Art Entspannen, ein Nachgeben vielleicht. Und schließlich fing er an. »Es war nach dem Zweiten Weltkrieg«, sagte er. »Das Indien meiner Kindheit war dahin, einfach verschwunden. Außerdem lechzte ich nach neuen Orten. Ich organisierte mit meinen Freunden eine Jagdexpedition in den tropischen Regenwald des Amazonas. Wir wollten den großen südamerikanischen Jaguar erlegen…« Er zeigte auf das gefleckte Fell einer Katze, das ich noch nicht bemerkt hatte; es war auf einen Ständer in der Ecke drapiert. »Wie gern wollte ich diese Katze jagen.«
    »Anscheinend haben Sie es getan.«
    »Nicht sofort. «Er lachte kurz und ironisch. »Wir beschlossen, vor unserer Expedition einen hübschen Luxusurlaub in Rio einzulegen, zwei Wochen an der Copacabana umherzustreifen und all die alten kolonialen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen - die Klöster, Kirchen und so weiter. Und, wohlgemerkt, das Zentrum der Stadt sah damals anders aus: war ein Gewirr von kleinen, engen Straßen und wundervoller alter Architektur. Ich war so erpicht darauf und auf die blanke Fremdartigkeit des Ganzen! Das ist es, was uns Engländer in die Tropen reisen läßt. Wir müssen weg von all dieser Schicklichkeit, von dieser Tradition - und in eine scheinbar wilde Kultur eintauchen, die wir niemals zähmen oder auch nur wirklich verstehen können.«
    Sein ganzes Verhalten änderte sich, als er sprach; er wurde noch kraftvoller und energischer; seine Augen leuchteten, und die Worte flössen immer schneller in diesem klaren britischen Akzent aus ihm heraus, den ich so liebte.
    »Nun, die Stadt selbst übertraf natürlich alle Erwartungen. Dennoch war sie nicht annähernd so faszinierend wie ihre Menschen. Die Menschen in Brasilien sind anders als alle, die ich je gesehen habe. Zum einen sind sie außergewöhnlich schön, und auch wenn sich alle darin einig sind, weiß doch niemand, warum. Nein, ganz im Ernst«, sagte er, als er mich lächeln sah. »Vielleicht ist es die Mischung des Portugiesischen mit dem Afrikanischen und dazu das Indianerblut. Ich kann es ehrlich nicht sagen. Tatsache ist, daß sie außergewöhnlich attraktiv sind und überaus sinnliche Stimmen haben. Ja, man könnte sich in ihre Stimmen verlieben, man möchte am Ende ihre Stimmen küssen; und die Musik, der Bossa Nova, ist tatsächlich ihre Sprache.«
    »Sie hätten dortbleiben sollen.«
    »O nein!« Rasch nahm er noch einen Schluck Scotch. »Aber um fortzufahren: Ich entwickelte, sagen wir, eine Leidenschaft für einen Jungen, Carlos, gleich in der ersten Woche. Ich war absolut hingerissen von ihm. Wir taten nichts als trinken und uns lieben, Tag und Nacht, ohne Ende, in meiner Suite im Palace Hotel. Absolut und ganz und gar obszön.«
    »Ihre Freunde warteten auf Sie?«
    »Nein, sie stellten ein Ultimatum. Komm jetzt mit, oder wir lassen dich hier. Aber sie hätten nicht das geringste dagegen, wenn Carlos mitkäme.« Er machte eine kleine Geste mit der rechten Hand. »Ah, sie waren natürlich allesamt höchst kultivierte Gentlemen.«
    »Natürlich.«
    »Aber meine Entscheidung, Carlos mitzunehmen, erwies sich als furchtbarer Fehler. Seine Mutter war Candomble-Priesterin, obwohl ich davon nicht die leiseste Ahnung hatte. Sie wollte nicht, daß ihr Junge in die Wälder des Amazonas zog. Sie wollte, daß er zur Schule ging. Und sie schickte mir die Geister auf den Hals.«
    Er schwieg und sah mich an, vielleicht um meine Reaktion abzuschätzen. »Das muß ein herrlicher Spaß gewesen sein«, meinte ich. »Sie knufften mich im Dunkeln. Sie hoben das Bett hoch und kippten mich auf den Boden! Sie drehten das Wasser in der Dusche so heiß, daß ich mich beinahe verbrühte. Sie

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