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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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»In Ihrem Buch behauptet sie, genau das gleiche getan zu haben, nur um eine dunklere Haut zu bekommen.«
    »Was für ein Mut«, flüsterte ich. »Und Sie glauben nicht an ihre Existenz, nicht wahr? Obwohl ich jetzt hier vor Ihnen sitze.«
    »O doch, ich glaube an sie. Natürlich glaube ich an sie. Ich glaube alles, was Sie geschrieben haben. Aber ich kenne Sie! Erzählen Sie - was ist wirklich passiert in der Wüste? Haben Sie tatsächlich geglaubt, Sie würden sterben?«
    »Es war klar, daß Sie diese Frage stellen würden, David, und zwar gleich als erstes.« Ich seufzte. »Nun, ich kann nicht behaupten, daß ich es tatsächlich geglaubt habe. Ich habe wahrscheinlich meine üblichen Spielchen gespielt. Ich schwöre bei Gott, ich belüge andere nicht. Aber ich belüge mich selbst. Ich glaube nicht, daß ich jetzt noch sterben kann, zumindest nicht auf irgendeine Weise, die ich selbst zuwege bringen könnte.«
    Er tat einen langen Seufzer.
    »Und warum haben Sie keine Angst vor dem Sterben, David? Ich habe nicht vor, Sie mit meinem alten Angebot zu quälen. Ich kann es mir nur ehrlich nicht erklären. Sie haben wirklich und wahrhaftig keine Angst vor dem Sterben, und das begreife ich einfach nicht. Denn Sie können natürlich sterben.«
    War er unsicher? Er antwortete nicht sofort. Aber es schien ihn mächtig anzuregen, das sah ich gleich. Fast hätte ich hören können, wie sein Gehirn arbeitete, obgleich ich seine Gedanken natürlich nicht hörte.
    »Warum die Faust -Aufführung, David? Bin ich Mephisto?« fragte ich. »Und sind Sie Faust?«
    Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht bin ich Faust«, sagte er schließlich und nahm noch einen Schluck Scotch. »Aber Sie sind nicht der Teufel, soviel steht fest.« Wieder seufzte er.
    »Aber ich habe Ihnen alles kaputtgemacht, nicht wahr? Das wußte ich schon in Amsterdam. Sie wohnen nicht im Mutterhaus, wenn es nicht sein muß. Ich mache Sie nicht verrückt, aber ich habe eine äußerst schlechte Wirkung auf Sie, nicht wahr?«
    Wieder antwortete er nicht gleich. Er schaute mich mit seinen großen, auffällig schwarzen Augen an und betrachtete meine Frage offensichtlich von allen Seiten. Die tiefen Falten in seinem Gesicht - die Furchen auf der Stirn und die Fältchen an Augen- und Mundwinkeln - verstärkten die Freundlichkeit und Offenheit seines Ausdrucks. Es war nichts Säuerliches in diesem Wesen, aber unter der Oberfläche verbarg sich Kummer, verflochten mit tiefgründigen Erwägungen, die weit in ein langes Leben zurückreichten.
    »Es wäre so oder so passiert, Lestat«, sagte er schließlich. »Es gibt Gründe, weshalb ich nicht mehr so gut darin bin, der Generalobere zu sein. Wäre sowieso passiert. Da bin ich mir relativ sicher.«
    »Erklären Sie mir das. Ich dachte, Sie säßen sozusagen im Schöße des Ordens, es wäre Ihr Leben.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich war immer ein unpassender Kandidat für die Talamasca. Ich habe erwähnt, auf welche Weise ich meine Jugend in Indien verbracht habe. Ich hätte mein ganzes Leben so verbringen können. Ich bin kein Wissenschaftler im konventionellen Sinne, und ich war es nie. Gleichwohl bin ich wie Faust in dem Stück. Ich bin alt, und ich habe die Geheimnisse des Universums nicht gelöst. Überhaupt nicht. Ich dachte, es wäre mir gelungen, als ich jung war. Als ich das erstemal… eine Vision hatte. Als ich das erstemal eine Hexe erkannte, als ich das erstemal die Stimme eines Geistes hörte, als ich das erstemal einen Geist heraufbeschwor und ihn zwang, zu tun, was ich ihm befahl. Da dachte ich, es wäre mir gelungen! Aber das war nichts. Diese Dinge sind an die Erde gebunden, es sind Geheimnisse, die an die Erde gebunden sind. Oder Geheimnisse, die ich jedenfalls niemals lösen werde.«
    Er stockte, als wolle er noch etwas sagen, etwas Spezielles. Aber dann hob er nur das Glas und trank beinahe geistesabwesend, und diesmal ohne die Grimasse, denn die war offenbar dem ersten Drink des Abends vorbehalten. Er starrte das Glas an und schenkte sich aus der Karaffe nach.
    Es ärgerte mich, daß ich seine Gedanken nicht lesen konnte, daß ich nicht das leiseste Flackern irgendwelcher Ausstrahlungen hinter seinen Worten entdecken konnte.
    »Wissen Sie, weshalb ich Mitglied der Talamasca wurde?« fragte er. »Das hatte überhaupt nichts mit Gelehrsamkeit zu tun. Ich habe mir nie träumen lassen, im Mutterhaus eingesperrt zu sitzen, in Papier zu waten, Daten in den Computer zu tippen und Faxe durch die ganze Welt zu

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