Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Die Gerichtsmedizin hat an keinem der beiden Opfer eine Wunde finden können. Sie sind eine namenlose Berühmtheit in Miami; die Verrufenheit des armen Toten im Hotel stellen Sie durchaus in den Schatten.«
»Das ist mir völlig schnuppe«, sagte ich wütend. Aber das war es natürlich nicht. Ich mißbilligte meine eigene Nachlässigkeit, aber ich unternahm nichts, um mich zu bessern. Na, das mußte sich jedenfalls ändern. Hatte ich es heute nacht besser gemacht? Es kam mir feige vor, in solchen Dingen Ausflüchte zu machen.
David beobachtete mich aufmerksam. Wenn er eine beherrschende Eigenschaft hatte, dann war es seine Wachsamkeit. »Es ist nicht unvorstellbar«, sagte er, »daß man Sie erwischt.«
Ich lachte verächtlich und winkte ab.
»Man könnte Sie in ein Laboratorium sperren, Sie studieren in einem Käfig aus High-Tech-Glas.«
»Unmöglich. Aber ein interessanter Gedanke.«
»Ich wußte es! Sie wollen, daß es passiert!«
Ich zuckte die Achseln. »Könnte ein Weilchen Spaß machen. Hören Sie, es ist schlicht unmöglich. Am Abend meines einzigen Auftritts als Rocksänger sind alle möglichen bizarren Dinge passiert. Und die sterbliche Welt hat hinterher alles sauber ausgefegt und die Akten geschlossen. Was die alte Frau in Miami angeht, so war das ein schreckliches Mißgeschick. Hätte nie passieren sollen -« Ich brach ab. Was war mit denen, die gerade heute nacht in London gestorben waren?
»Aber Sie nehmen gern Leben«, sagte er. »Sie haben gesagt, es macht Ihnen Spaß.«
Ich hatte plötzlich solche Schmerzen, daß ich wegwollte. Aber ich hatte versprochen zu bleiben. So saß ich einfach da, starrte ins Feuer und dachte an die Wüste Gobi, an die Gebeine der großen Echsen und daran, wie das Licht der Sonne die ganze Welt erfüllt hatte. Ich dachte an Claudia. Ich roch den Lampendocht.
»Verzeihung. Ich wollte nicht grausam zu Ihnen sein«, sagte er.
»Na, warum denn nicht, zum Teufel? Ich kann mir kein besseres Objekt der Grausamkeit denken. Außerdem bin ich auch nicht immer gut zu Ihnen.«
»Was wollen Sie wirklich? Was ist Ihre alles beherrschende Leidenschaft?«
Ich dachte an Marius und an Louis, die mir die gleiche Frage viele Male gestellt hatten.
»Was wäre eine Buße für das, was ich getan habe?« fragte ich. »Ich hatte die Absicht, dem Killer ein Ende zu bereiten. Er war ein menschenfressender Tiger, mein Bruder. Ich habe ihm aufgelauert. Aber die alte Frau - sie war ein Kind im Wald, nichts weiter. Aber was macht das schon?« Ich dachte an die elenden Kreaturen, die ich noch an diesem Abend genommen hatte. Ein Gemetzel hatte ich in den Hinterhöfen von London hinterlassen. »Ich wünschte, ich könnte mir merken, daß es egal ist«, sagte ich. »Ich hatte sie retten wollen. Aber was würde angesichts all dessen, was ich getan habe, ein einziger Akt der Gnade schon helfen? Wenn es einen Gott oder einen Teufel gibt, bin ich verdammt. Warum machen Sie jetzt nicht weiter mit Ihren religiösen Reden? Das Merkwürdige ist nämlich, ich finde das Reden über Gott und den Teufel bemerkenswert beruhigend. Erzählen Sie mir mehr über den Teufel. Er ist doch sicher veränderbar? Er ist clever. Er muß Gefühle haben. Weshalb um alles in der Welt sollte er immer derselbe bleiben?«
»Genau. Sie wissen, was im Buch Hiob steht.«
»Erinnern Sie mich.«
»Nun, Satan ist im Himmel bei Gott. Gott sagt: ›Wo warst du?‹ Und Satan sagt: ›Ich bin auf der Erde umhergezogen. ‹ Es ist ein richtiges Gespräch, und sie fangen an, über Hiob zu streiten. Satan glaubt, daß Hiobs Güte nur auf seinem glücklichen Geschick beruht. Und Gott ist damit einverstanden, daß der Satan Hiob quält. Dieses Bild der Situation kommt der Wahrheit so nah wie nur irgendeins, das wir kennen. Gott weiß nicht alles. Der Teufel ist ein guter Freund von ihm. Und die ganze Sache ist ein Experiment. Und dieser Satan ist weit davon entfernt, der Teufel zu sein, wie wir ihn heute weltweit kennen.«
»Sie sprechen wirklich von diesen Ideengebilden wie von realen Wesen …«
»Ich glaube, sie sind real«, sagte er, und seine Stimme verlor sich irgendwie, als er in seinen Gedanken versank. Dann raffte er sich wieder auf. »Ich will Ihnen etwas erzählen. Eigentlich hätte ich es Ihnen schon früher gestehen sollen. In gewisser Weise bin ich genauso abergläubisch und religiös wie jeder andere auch. Denn all das basiert gewissermaßen auf einer Vision - Sie wissen schon, auf einer Offenbarung von der Art, die die
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