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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ein dunkelblaues, zweireihiges Jackett aus Kaschmirwolle. Dann verbrachte ich ein paar Stunden am linken Seineufer, besuchte die hellen, einladenden Cafes dort und dachte an Davids Geschichte über Gott und den Teufel, und ich fragte mich, was um alles in der Welt er da tatsächlich gesehen hatte. Freilich, Paris wäre ein schöner Ort für Gott und den Teufel, aber…
    Ich fuhr eine Weile mit der Metro, studierte die Fahrgäste und versuchte festzustellen, was an den Parisern so anders war. War es ihre Wachheit, ihre Energie? Die Art, wie sie den Blickkontakt mit anderen mieden? Ich konnte es nicht sagen. Aber sie waren ganz anders als Amerikaner - das hatte ich überall gesehen -, und mir wurde klar, daß ich sie verstand. Und ich mochte sie.
    Daß Paris eine so reiche Stadt war, so voll teurer Pelzmäntel und Juwelen und zahlloser Boutiquen, versetzte mich in mildes Erstaunen. Die Stadt schien reicher zu sein als selbst die Großstädte in Amerika. Zu meiner Zeit war sie vielleicht nicht minder reich erschienen mit ihren gläsernen Kutschen und den Damen und Herren mit ihren weißen Perücken. Aber die Armen waren auch dagewesen, überall, waren sogar auf der Straße gestorben. Und jetzt sah ich nur noch die Reichen, und manchmal, für Augenblicke, war die ganze Stadt mit ihren Millionen von Autos und ungezählten Stadthäusern, Hotels und Villen unfaßbar.
    Natürlich ging ich auf die Jagd. Ich nährte mich.
    Am nächsten Abend, als es dämmerte, stand ich im obersten Stock des Centre Pompidou unter einem Himmel von so reinem Violett, wie es sonst nur der Himmel in meinem geliebten New Orleans zuwege bringt, und sah zu, wie die Lichter der großen, weitläufigen Stadt zum Leben erwachten. Ich schaute hinüber zum fernen Eiffelturm, der spitz in die göttliche Dämmerung ragte.
    Ah, Paris; ich wußte, ich würde hierher zurückkommen, jawohl, und zwar bald. Eines zukünftigen Abends würde ich mir ein Nest auf der Île St.-Louis anlegen, die ich immer geliebt hatte. Zum Teufel mit den großen Häusern in der Avenue Foch. Ich würde das Gebäude suchen, in dem Gabrielle und ich den Zauber der Finsternis miteinander gewirkt hatten, wo die Mutter den Sohn dazu angeleitet hatte, sie zu seiner Tochter zu machen, und das sterbliche Leben sie losgelassen hatte, als wäre es nur eine Hand, die ich beim Handgelenk gepackt hatte.
    Ich würde Louis mit herbringen - Louis, der diese Stadt so sehr geliebt hatte, bevor er Claudia verloren hatte. Ja, man mußte ihn einladen, sie wieder zu lieben.
    Einstweilen würde ich langsam zum Café de la Paix hinüberspazieren, untergebracht in dem großen Hotel, in dem Louis und Claudia in jenem tragischen Jahr unter der Herrschaft Napoleons III. logiert hatten, und dort würde ich bei einem Glas Wein sitzen, ohne es anzurühren, und mich dazu zwingen, ruhig an all das zu denken - und daß es geschehe.
    Nun, die Strapaze in der Wüste hatte mich gestärkt, das war offenkundig. Und ich war bereit dafür, daß etwas passierte …
    … und endlich, in den frühen Morgenstunden, als ich leicht melancholisch geworden war und ein bißchen um die alten, baufälligen Häuser aus der Zeit um 1780 trauerte, und als der Dunst über dem halb zugefrorenen Fluß hing und ich an der hohen Steinmauer am Ufer vor der Brücke zur Île de la Cité lehnte, da sah ich meinen Mann.
    Erst kam das Gefühl, und diesmal erkannte ich es sofort. Ich studierte es, während es mir widerfuhr - eine leichte Desorientierung, die ich zuließ, ohne einen Moment lang die Kontrolle zu verlieren; das sanfte, köstliche Rieseln der Vibration; dann die tiefe, innere Zusammenschnürung meiner ganzen Gestalt - Finger, Zehen, Arme, Beine, Rumpf -, ganz wie zuvor. Ja, als werde mein ganzer Körper kleiner und kleiner, ohne seine exakten Proportionen zu verlieren, und als werde ich aus der schrumpfenden Hülle hinausgepreßt! Und in dem Augenblick, da es vollends schier unmöglich erschien, noch in mir zu bleiben, da klärte sich mein Kopf, und die Empfindungen hörten auf.
    Genauso war es auch die beiden Male vorher gewesen. Ich stand an der Brücke, bedachte dies und prägte mir die Einzelheiten ein.
    Dann sah ich einen verbeulten Kleinwagen, der auf der anderen Seite des Flusses ruckartig zum Stehen kam, und er stieg aus - der braunhaarige junge Mann -, unbeholfen wie beim letztenmal. Er richtete sich zögernd zu voller Größe auf und fixierte mich mit seinen ekstatisch glitzernden Augen.
    Er hatte den Motor seines kleinen Autos

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