Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
eingerichtet und halb leer. Ich saß bei Kerzenlicht im schwarzen Smoking mit gestärkter Hemdbrust, die Arme vor mir verschränkt, und freute mich an der Tatsache, daß ich nur noch die blaßviolett getönte Brille brauchte, um meine Augen zu verdecken. Wie gut ich die Gobelinportieren sehen konnte und den halbdunklen Garten hinter den Fenstern.
David aß mit Lust. Er war mit größtem Vergnügen nach Paris gekommen, war hingerissen von seiner Suite mit Blick auf die Place Vendôme, von den Samtteppichen und den vergoldeten Möbeln, und er hatte den ganzen Nachmittag im Louvre verbracht.
»Nun, Sie sehen doch das gemeinsame Thema, nicht wahr?« antwortete er. »Ich bin nicht sicher«, sagte ich. »Ich sehe natürlich ein paar gemeinsame
Elemente, aber diese kleinen Geschichten sind doch alle anders.«
»Inwiefern?«
»Nun, in der Lovecraft-Geschichte tauscht Asenath, diese diabolische Frau, mit
ihrem Mann den Körper. Sie läuft in der Stadt umher und benutzt seinen männlichen Körper, während er zu Hause in ihrem Körper sitzt, elend und verwirrt. Ich fand es, ehrlich gesagt, zum Schreien. Einfach wunderbar raffiniert - und natürlich ist Asenath auch nicht Asenath, wie ich mich erinnere, sondern ihr Vater, der mit ihr den Körper getauscht hat. Und dann wird alles sehr lovecraftianisch, mit schleimigen halbmenschlichen Dämonen und dergleichen mehr.«
»Das mag vielleicht nicht weiter von Bedeutung sein. Und die ägyptische Geschichte?«
»Ganz anders. Verwesende Tote, in denen aber immer noch Leben ist, wissen Sie…«
»Ja, aber der Plot?«
»Nun, die Seele der Mumie bringt es zuwege, vom Körper des Archäologen Besitz zu ergreifen, und der arme Teufel kommt dafür in den verwesten Leichnam der Mumie -«
»Ja?«
»Du lieber Gott, ich sehe, was Sie meinen. Und dann der Film ich bin du. Da geht es um die Seele eines Jungen und die Seele eines Mannes, die ihre Körper tauschen.
Der Teufel ist los, bis sie den Tausch wieder rückgängig machen können. Und in dem Film Solo für i geht es auch um Körpertausch. Sie haben absolut recht, alle vier Geschichten handeln von der gleichen Sache.«
»Genau.«
»O Gott, David. Jetzt wird mir alles klar. Ich weiß nicht, weshalb ich es nicht schon vorher gesehen habe. Aber…«
»Dieser Mann versucht Sie glauben zu machen, er wisse etwas über diese Körpertauscherei. Er sucht Sie mit der Andeutung zu locken, daß so etwas möglich sei.«
»Du lieber Gott. Natürlich, das erklärt die Sache - wie er sich bewegt, wie er geht, rennt.«
»Was?«
Wie vom Donner gerührt, saß ich da und rief mir das kleine Biest noch einmal vor Augen, bevor ich antwortete, beschwor jedes Bild von ihm noch einmal herauf, aus jedem denkbaren Blickwinkel, den mein Gedächtnis hergab. Ja, sogar in Venedig hatte er diese unübersehbare Unbeholfenheit an sich gehabt.
»David, er kann es!«
»Lestat, ziehen Sie nicht voreilig solche verrückten Schlüsse. Vielleicht glaubt er, daß er es kann. Vielleicht möchte er es versuchen. Vielleicht lebt er ganz und gar in einer Welt der Illusionen…«
»Nein. Das ist sein Vorschlag, David, der Vorschlag, von dem er sagt, ich werde ihn hören wollen! Er kann mit anderen den Körper tauschen!«
»Lestat, Sie können doch nicht glauben -«
»David, genau das ist es, was mit ihm nicht stimmt! Ich habe mich bemüht draufzukommen, seit ich ihn am Strand in Miami gesehen habe. Es ist nicht sein eigener Körper! Deshalb kann er mit seiner Muskulatur nicht umgehen … und mit seiner Größe. Darum fällt er beinahe hin, wenn er rennt. Er hat keine Kontrolle über diese langen, kraftvollen Beine. Guter Gott, dieser Mann steckt im Körper eines anderen! Und die Stimme, David - ich habe Ihnen von der Stimme erzählt. Es ist nicht die Stimme eines jungen Mannes. Oh, das erklärt alles! Und wissen Sie, was ich denke? Ich denke, er hat sich diesen speziellen Körper ausgesucht, weil ich ihn bemerken würde. Und ich sage Ihnen noch etwas: Er hat diesen Tauschtrick bereits mit mir versucht, und es hat nicht geklappt.«
Ich konnte nicht weiterreden. Diese Möglichkeit verschlug mir die Sprache. »Was soll das heißen, er hat es versucht?«
Ich beschrieb ihm die merkwürdigen Empfindungen - die Vibrationen, die Zusammenschnürung, das Gefühl, ich würde buchstäblich aus meinem physischen Ich hinauskatapultiert.
Er antwortete nicht, aber ich sah, welche Wirkung meine Worte auf ihn hatten. Er saß bewegungslos und mit schmalen Augen da, und seine
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