Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
mich rasend! Warum lachst du mich nicht aus? Das hast du doch auch früher schon getan.«
Ich richtete mich auf und wandte mich ab. Ich schaute hinaus auf das Gras, das sich sanft im Flußwind wiegte, und auf die Ranken des Königinnenkranzes, die wie ein Schleier vor der offenen Tür hingen.
»Ich lache nicht«, sagte ich. »Aber ich werde diese Angelegenheit weiterverfolgen; es hat keinen Sinn, dir da etwas vorzumachen. Herrgott, begreifst du denn nicht? Was könnte ich nicht alles erfahren, wenn ich nur für fünf Minuten in einem sterblichen Körper sein könnte?«
»Also schön«, sagte er verzweifelt. »Hoffentlich findest du heraus, daß der Kerl dich mit einem Haufen Lügen verführt hat und daß er nichts weiter will als das Blut der Finsternis, und hoffentlich schickst du ihn dann schnurstracks in die Hölle. Ich warne dich noch einmal: Sollte ich ihn sehen, sollte er mich bedrohen, werde ich ihn töten. Ich besitze nicht deine Kraft. Ich bin auf meine Anonymität angewiesen; meine kleinen Memoiren, wie du sie immer nennst, waren so weit entfernt von der Welt dieses Jahrhunderts, daß niemand sie für bare Münze genommen hat.«
»Ich werde ihm nicht erlauben, dir etwas anzutun, Louis«, sagte ich. Ich drehte mich um und warf ihm einen bösen Blick zu. »Ich würde niemals zulassen, daß dir irgend jemand etwas antut.«
Und damit verließ ich ihn.
Natürlich war dies ein Vorwurf, und er spürte seine schneidende Schärfe; das hatte ich zu meiner Genugtuung gesehen, bevor ich mich abwandte und hinausging.
In der Nacht, als Claudia sich gegen mich erhob, hatte er dagestanden, der hilflose Augenzeuge, voller Entsetzen, aber ohne den leisesten Gedanken an ein Eingreifen, so laut ich auch seinen Namen rief.
Er hatte aufgehoben, was er für meinen leblosen Leib hielt, und in den Sumpf geworfen. Ah, ihr naiven kleinen Zöglinge, daß ihr dachtet, ihr könntet mich so leicht loswerden.
Aber warum jetzt daran denken? Er hatte mich damals geliebt, ob er es gewußt hatte oder nicht; an meiner Liebe zu ihm und diesem elenden, zornigen Kind hatte ich nie den leisesten Zweifel.
Er hatte um mich getrauert; das will ich ihm zugestehen. Aber er versteht sich auch so gut auf das Trauern! Er trägt seinen Schmerz, wie andere Samt tragen; Trauer schmeichelt ihm wie Kerzenschein, und Tränen zieren ihn wie Edelsteine.
Nun, aber bei mir wirkt dieser ganze Quatsch nicht.
Ich kehrte zurück in meine Dachwohnung, schaltete alle meine schönen elektrischen Lampen an und wälzte mich untätig zwei Stunden lang in krassem Materialismus; ich verfolgte die endlose Parade von Videobildern auf meinem Großbildschirm und schlief dann eine Weile auf meiner weichen Couch, bevor ich auf die Jagd ging.
Ich war müde und durch mein Umherreisen aus dem Takt geraten. Und Durst hatte ich auch.
Es war still jenseits der Lichter des Quarters und der endlos erleuchteten Wolkenkratzer der City. New Orleans versinkt sehr rasch im Dämmerlicht, in den ländlichen Straßen, die ich eben beschrieben habe, aber auch zwischen den trostlosen Ziegelbauten und den Häusern der Stadt.
Durch diese verlassenen Gewerbezonen mit ihren geschlossenen Fabriken und Lagerschuppen und den tristen kleinen Baracken wanderte ich zu einer wunderbaren Stelle am Fluß, die vielleicht für niemanden außer mir irgendeine Bedeutung hatte.
Es war ein freies Feld in der Nähe der Docks, das sich unter den Riesenpylonen der Autobahnen erstreckte, die zu den hohen Zwillingsbrücken über den Fluß rührten; seit ich sie das erstemal zu Gesicht bekommen hatte, nannte ich sie »Dixie Gates« - die Tore nach Dixieland.
Ich muß bekennen, daß diese Brücken von der amtlichen Welt einen anderen, weniger charmanten Namen bekommen haben. Aber ich kümmere mich wenig um die amtliche Welt. Für mich werden diese Brücken immer die Dixie Gates sein, und wenn ich nach Hause komme, warte ich nie allzulange, bevor ich wieder dorthin spaziere und sie anschaue, mit all ihren Tausenden von winzigen, funkelnden Lichtern.
Wohlgemerkt, es sind keine wunderbaren ästhetischen Schöpfungen wie die Brooklyn Bridge, die den Dichter Hart Crane zu hingebungsvoller Begeisterung anregte. Und sie haben auch nicht die feierliche Pracht der Golden Gate Bridge in San Francisco.
Aber sie sind nichtsdestominder Brücken, und alle Brücken sind schön und reizen zum Nachdenken; und wenn sie hell beleuchtet sind wie diese hier, dann gewinnen ihre zahlreichen Träger und Rippen eine
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