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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ruhst. Und jetzt hast du ihn hierhergeführt. Er weiß also auch, wo ich ruhe. Er ist der schlimmste denkbare Feind! Mon Dieu, wieso suchst du dir immer neue Gegner? Nichts auf der Erde kann dich noch vernichten, nicht die Kinder der Jahrtausende mit ihren vereinten Kräften, ja nicht einmal die Mittagssonne in der Wüste Gobi - also umwirbst du den einen Gegner, der Macht über dich hat. Einen Sterblichen, der bei Tageslicht herumlaufen kann. Einen Mann, der dich völlig in seine Gewalt bringen kann, wenn du selbst ohne einen Funken Bewußtsein oder Willenskraft bist. Nein, vernichte ihn. Er ist viel zu gefährlich. Wenn ich ihn sehe, werde ich ihn vernichten.«
    »Louis, dieser Mann kann mir einen menschlichen Körper geben.
    Hast du mir überhaupt zugehört?«
    »Einen menschlichen Körper! Lestat, du kannst nicht Mensch werden, indem du einfach einen menschlichen Körper übernimmst! Du warst kein Mensch, als du noch lebtest! Du warst zum Ungeheuer geboren, und das weißt du. Wie zum Teufel kannst du dir nur so etwas vormachen?«
    »Ich werde weinen, wenn du nicht aufhörst.«
    »Weine doch. Ich würde dich gern weinen sehen. Ich habe auf den Seiten deiner Bücher viel über dein Weinen lesen können, aber ich habe es nie mit eigenen Augen gesehen.«
    »Ah, damit erweist du dich als vollendeter Lügner«, antwortete ich wütend. »Du hast mein Weinen in deinen miserablen Erinnerungen beschrieben, in einer Szene, von der wir beide wissen, daß sie nie stattgefunden hat!«
    »Lestat, töte diese Kreatur! Du bist verrückt, wenn du ihn nahe genug an dich herankommen läßt, daß er auch nur drei Worte an dich richten kann.«
    Ich war ratlos, absolut ratlos. Ich ließ mich in meinen Sessel fallen und starrte ins Leere. Die Nacht draußen schien in sanftem, süßem Rhythmus zu atmen, und der Duft des Königinnenkranzes war ein zarter Hauch in der feuchten, kühlen Luft. Louis’ Gesicht schien matt zu leuchten, ebenso wie seine Hände, die gefaltet auf dem Tisch lagen. Er hüllte sich in einen Schleier des Schweigens und wartete vermutlich auf meine Antwort, obgleich ich keine Ahnung hatte, warum.
    »Das hätte ich nie von dir erwartet«, sagte ich enttäuscht. »Erwartet hätte ich einen langen philosophischen Sermon, wie das Zeug, das du in deinen Memoiren geschrieben hast. Aber so etwas?«
    Er blieb schweigend sitzen und schaute mich unentwegt an, und das Licht funkelte für einen Moment in seinen brütenden grünen Augen. Er schien tiefe innere Qualen zu leiden, als hätten meine Worte ihm große Schmerzen zugefügt. Sicher lag es nicht daran, daß ich seine Schriftstellerei geschmäht hatte. Die schmähte ich die ganze Zeit. Das war ein Witz. Na ja, eine Art Witz.
    Ich wußte nicht, was ich sagen oder tun sollte. Er strapazierte meine Nerven. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme sehr sanft.
    »Du willst nicht wirklich ein Mensch sein«, sagte er. »Das glaubst du doch nicht im Ernst, oder?«
    »Doch, das glaube ich!« antwortete ich, gedemütigt durch das Gefühl, das in meiner Stimme lag. »Wie kann es sein, daß du es nicht glaubst?« Ich sprang auf und ging wieder auf und ab, einmal durch das kleine Haus und dann hinaus in den verwilderten Garten, wo ich die dicken, nachgiebigen Ranken beiseite schieben mußte. Ich war so durcheinander, daß ich nicht weiter mit ihm sprechen konnte.
    Ich dachte an mein sterbliches Leben und bemühte mich vergebens, es nicht zu mythologisieren, aber ich konnte diese Erinnerungen nicht vertreiben - die letzte Wolfsjagd und meine Hunde, die im Schnee starben. Paris. Das Boulevardtheater. Unvollendet! Du willst nicht wirklich ein Mensch sein! Wie konnte er so etwas sagen?
    Mir erschien es wie eine Ewigkeit, daß ich draußen im Garten war; schließlich aber ging ich, auf Gedeih und Verderb, wieder zurück ins Haus. Er saß immer noch an seinem Schreibtisch und schaute mich an, verloren und beinahe, als habe es ihm das Herz gebrochen.
    »Hör zu«, sagte ich, »es gibt nur zwei Dinge, die ich glaube. Erstens, daß kein Sterblicher das Geschenk der Finsternis zurückweisen kann, wenn er erst wirklich weiß, was es bedeutet. Und rede jetzt nicht von David Talbot, der mich abgewiesen hat. David ist kein gewöhnlicher Mensch. Und das zweite, was ich glaube, ist, daß wir alle wieder Menschen werden würden, wenn wir es könnten. Das sind meine beiden Glaubenssätze. Sonst nichts.«
    Er machte eine kleine, müde Geste des Einverständnisses und lehnte sich auf seinem Stuhl

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