Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
großartige Mystik.
Ich will hier noch anfügen, daß das gleiche große Wunder des Lichts sich auch in der schwarzen Nacht des Südens ereignet, auf dem Land, wo die gewaltigen Ölraffinerien und Kraftwerksanlagen sich in unerwarteter Pracht aus der unsichtbaren Ebene erheben. Und sie sind zudem geschmückt mit rauchenden Schloten und ewig brennenden Gasfackeln. Der Eiffelturm ist zu dieser Stunde kein bloßes Eisengerüst, sondern eine Skulptur aus gleißendem elektrischen Licht.
Aber wir sprechen von New Orleans, und so spazierte ich jetzt zu diesem Stück Ödland am Fluß, auf der einen Seite begrenzt von dunklen grauen Hütten, zur anderen von verlassenen Lagerschuppen und am nördlichen Ende von diesen herrlichen Schrottplätzen mit ihren ausgemusterten Maschinen und ihren Maschendrahtzäunen, überwuchert von den unvermeidlichen, üppigen, wunderschön blühenden Ranken.
Ah, die Felder des Nachdenkens, die Felder der Verzweiflung. Ich liebte es, hier umherzugehen, auf der weichen unfruchtbaren Erde, zwischen hohen Grasbüscheln und verstreuten Glasscherben, dem leisen Puls des Flusses zu lauschen, auch wenn ich ihn hier nicht sehen konnte, und zu dem fernen, rosigen Glanz der City hinüberzuschauen.
Mir schien es die Essenz der modernen Welt zu sein, dieses furchtbare, grausige, vergessene Gelände, diese weite Lücke zwischen den pittoresken alten Häusern, wo nur hin und wieder ein Auto vorbeikroch, auf verlassener und vermutlich gefährlicher Straße.
Und ich will auch nicht versäumen zu erwähnen, daß diese Gegend trotz der dunklen Pfade, die hierherführen, selbst nie völlig finster ist. Eine tiefe, stete Flut von Helligkeit strömte von den Lichtem der Autobahnen und auch von den wenigen Straßenlaternen herunter und schuf ein gleichmäßiges und scheinbar ursprungsloses modernes Halbdunkel.
Am liebsten würden Sie jetzt sofort hineilen, nicht wahr? Brennen Sie nicht geradezu darauf, dort im Dreck herumzustöbern?
Aber im Ernst: Es ist von göttlicher Traurigkeit, dort zu stehen, eine winzige Gestalt im Kosmos, fröstelnd in den gedämpften Geräuschen der Stadt, der ehrfurchterregenden Maschinen in fernen Industrieanlagen und der Lastwagen, die hin und wieder dort oben vorüberdröhnen.
Von dort war es nur ein Steinwurf bis zu einem mit Brettern vernagelten Wohnhaus, in dessen mit Müll übersäten Zimmern ich zwei Mörder fand, deren fiebrige Hirne von Rauschgift benebelt waren; ich trank langsam und ruhig und ließ sie beide bewußtlos, aber lebend zurück.
Dann kehrte ich zurück zu dem einsamen freien Feld und streifte dort mit den Händen in den Taschen umher, kickte Blechdosen vor mir her, schlenderte eine ganze Weile unter den Autobahnen herum, sprang dann hinauf und ging auf dem nördlichen Arm des nächstgelegenen Dixie Gate entlang.
Wie tief und dunkel mein Fluß war. Die Luft darüber war immer kühl, und trotz des trostlosen Dunstes, der über allem hing, sah ich immer noch einen Reichtum an grausamen kleinen Sternen.
Lange trieb ich mich herum und dachte über alles nach, was Louis mir gesagt hatte, über alles auch, was David mir gesagt hatte, und immer noch erfüllte mich wilde Erregung bei dem Gedanken, daß ich am nächsten Abend Raglan James treffen würde.
Schließlich langweilte mich sogar der große Fluß. Ich horchte in die Stadt hinein, suchte nach dem verrückten sterblichen Spitzel und konnte ihn nicht finden. Ich horchte auch in die Vorstädte und fand ihn immer noch nicht. Aber immer noch war ich unsicher.
Die Nacht verging, und ich machte mich auf den Rückweg zu Louis’ Haus - das jetzt dunkel und verlassen war -, und ich streifte durch die schmalen kleinen Straßen, immer noch mehr oder minder auf der Suche nach dem sterblichen Spitzel, und ich wachte. Gewiß war Louis sicher in seinem geheimen Zufluchtsort, sicher in seinem Sarg, in den er sich lange vor Morgengrauen zurückzuziehen pflegte.
Dann wanderte ich wieder zurück zu dem Feld; ich sang vor mich hin und dachte daran, wie mich die Dixie Gates mit all ihren Lichtern doch an die hübschen Dampfer des neunzehnten Jahrhunderts erinnerten, die ausgesehen hatten wie riesige Hochzeitstorten voller Kerzen, die da vorüberglitten. Ist das eine gemischte Metapher? Egal. Ich hörte die Musik der Flußdampfer im Kopf.
Ich versuchte, mir das nächste Jahrhundert vorzustellen, und welche Formen es uns bringen würde, und wie es Häßlichkeit und Schönheit mit neuer Gewalt vermischen würde, wie das jedes
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