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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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weiß es.«
    »Am Ende werde ich gewinnen«, sagte ich mit leisem, unbehaglichem Lachen. Ein leiser Schwindel des Glücks, weil ich ihn sah. Dann ein Achselzucken. »Weißt du das nicht inzwischen? Ich gewinne immer.«
    Aber es erstaunte mich, daß er mich hier gefunden hatte, daß er so kurz vor Morgengrauen noch hergekommen war. Und ich zitterte immer noch nach all meinen wahnsinnigen Fantasien: daß sie zu mir gekommen sei, gekommen wie in meinen Träumen, und daß ich hatte wissen wollen, warum.
    Ich machte mir plötzlich Sorgen seinetwegen: Er wirkte so zerbrechlich mit seiner bleichen Haut und seinen langen, zarten Händen. Und doch fühlte ich auch die kühle Kraft, die von ihm ausging, die Kraft des Nachdenklichen, der nichts impulsiv tut, dessen, der die Dinge von allen Seiten betrachtet und der seine Worte mit Sorgfalt wählt. Dessen, der niemals mit dem Nahen der Sonne spielt.
    Unvermittelt wich er vor mir zurück, driftete davon, schlüpfte lautlos zur Tür hinaus. Ich ging ihm nach, ohne die Tür hinter mir abzuschließen, was vermutlich unverzeihlich war, da der Friede der Kirchen niemals gestört werden sollte, und ich sah ihm nach, wie er durch den kalten schwarzen Morgen davonging, jenseits des Platzes auf dem Gehweg bei den Pontalba Apartments.
    Er beeilte sich auf seine feine, anmutige Art, mit langen, lässigen Schritten. Das Licht kam herauf, grau und tödlich, und verlieh den Schaufenstern unter dem überhängenden Dach einen matten Glanz. Ich würde es vielleicht noch eine halbe Stunde aushallen. Er nicht.
    Mir wurde plötzlich klar, daß ich nicht wußte, wo sein Sarg versteckt war und wie weit er noch gehen mußte. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung.
    Bevor er die Ecke vor dem Fluß erreicht hatte, drehte er sich um. Er winkte mir kurz zu, und in dieser Geste lag mehr Zärtlichkeit als in allem, was er gesagt hatte.
    Ich ging zur Kirche zurück, um sie abzuschließen.

Acht
    A m nächsten Abend ging ich sofort zum Jackson Square. Von Norden her war ein schreckliches Wetter nach New Orleans gekommen, und eisig wehte der Wind. So etwas kann in den Wintermonaten jederzeit passieren, auch wenn es in manchen Jahren gar nicht dazu kommt. Ich war in meiner Dachwohnung vorbeigegangen, um mir einen schweren Wollmantel überzuziehen, und stellte nicht zum erstenmal entzückt fest, daß ich jetzt soviel Gefühl in meiner frisch bronzierten Haut hatte.
    Ein paar Touristen trotzten dem Wetter und besuchten die Cafes und Bäckereien, die in der Umgebung der Kathedrale noch geöffnet waren, und der abendliche Verkehr war laut und hektisch. Hinter den geschlossenen Türen des schmierigen alten Café du Monde herrschte reges Treiben.
    Ich sah ihn sofort. Was für ein Glück.
    Sie hatten die Tore zum Platz mit Ketten gesichert, wie sie es jetzt immer bei Sonnenuntergang taten - furchtbar lästig -, und er stand draußen, der Kathedrale zugewandt, und schaute sich unruhig um.
    Ich hatte einen Augenblick Zeit, um ihn zu betrachten, bevor er merkte, daß ich da war. Er war ein bißchen größer als ich, schätzungsweise einsneunzig, und hatte eine über die Maßen gute Figur. Was das Alter anging, hatte ich ungefähr recht gehabt. Der Körper konnte nicht mehr als fünfundzwanzig Jahre alt sein. Er war sehr teuer gekleidet: ein pelzgefütterter Regenmantel, sehr gut geschnitten, und ein dicker, scharlachroter Kaschmirschal.
    Als er mich sah, durchlief ihn ein Zucken von reinster Angst und irrem Entzücken. Das furchtbare glitzernde Lächeln überkam ihn, und vergebens bemühte er sich, seine Panik zu verbergen; er starrte mich an, als ich langsam und wie ein Mensch herankam.
    »Ah, aber Sie sehen wirklich wie ein Engel aus, Monsieur de Lioncourt«, wisperte er atemlos, »und wie prächtig Ihre gebräunte Haut ist. Was für eine reizende Verbesserung. Verzeihen Sie, daß ich es nicht schon früher erwähnt habe.«
    »Sie sind also gekommen, Mr. James«, sagte ich und zog die Brauen hoch. »Wie lautet Ihr Vorschlag? Ich mag Sie nicht. Sprechen Sie schnell.«
    »Seien Sie nicht so grob, Monsieur de Lioncourt«, sagte er. »Es wäre ein schrecklicher Fehler, mich zu beleidigen, wirklich.« Ja, eine Stimme ganz wie Davids. Höchstwahrscheinlich die gleiche Generation. Und etwas Indisches war auch darin, ohne Zweifel.
    »Da haben Sie ganz recht«, sagte er. »Ich habe etliche Jahre in Indien verbracht. Und auch ein bißchen Zeit in Australien und in Afrika.«
    »Ah, Sie können also mühelos meine Gedanken

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