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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Jahrhundert tun mußte. Ich studierte die Pylone der Autobahnen, anmutig sich aufschwingende Bögen aus Stahl und Beton, glatt wie Skulpturen, einfach und monströs, sanft gebogene Halme von farblosem Gras.
    Und hier endlich kam der Zug, ratterte über das ferne Gleis vor den Lagerschuppen mit seiner langweiligen Kette von schmutzigen Güterwagen, scheußlich und störend, und sein schriller Pfiff löste tief in meiner allzu menschlichen Seele jäh Alarm aus.
    Die Nacht schlug in ihrer vollkommenen Leere wieder über mir l’ zusammen, als das letzte Dröhnen und Rattern verhallt war. Keine Autos waren mehr auf den Brücken zu sehen, und schwerer Nebel zog lautlos in ganzer Breite den Fluß herauf und verdunkelte die blasser werdenden Sterne.
    Ich weinte wieder. Ich dachte an Louis und seine Warnungen. Aber was konnte ich tun? Vom Resignieren wußte ich nichts; ich würde es niemals tun. Wenn dieser elende Raglan James morgen abend nicht käme, würde ich die Welt nach ihm absuchen. Ich wollte nicht mehr mit David sprechen, wollte seine Warnungen nicht mehr hören, konnte ihm nicht mehr zuhören. Ich wußte, ich würde mich nicht mehr davon abbringen lassen.
    Ich starrte weiter zu den Dixie Gates hinüber. Die Schönheit dieser funkelnden Lichter ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich wollte eine Kirche mit Kerzen sehen - mit vielen kleinen, flackernden Kerzen wie denen, die ich in Notre Dame gesehen hatte. Rauch stieg von ihren Dochten auf wie Gebete.
    Noch eine Stunde bis Sonnenaufgang. Zeit genug. Langsam ging ich in Richtung City.
    Die St. Louis Cathedral war die Nacht über verschlossen, aber solche Schlösser waren kein Hindernis für mich.
    Ganz hinten in der Kirche blieb ich stehen, in der dunklen Vorhalle, und starrte auf die Batterie von Kerzen vor der Statue der Heiligen Jungfrau. Die Gläubigen warfen ihr Opfergeld in eine Münzschatulle aus Messing, bevor sie diese Kerzen anzündeten. Wachkerzen nannten sie sie.
    Oft hatte ich am frühen Abend hier gesessen und zugehört, wie diese Leute kamen und gingen. Ich mochte den Geruch von Wachs; ich mochte die kleine, schattenreiche Kirche, die sich in über einem Jahrhundert nicht um ein Haar verändert zu haben schien. Ich hielt die Luft an, und dann griff ich in meine Tasche, holte zwei zerknüllte Dollarnoten hervor und schob sie durch den Schlitz in den Messingkasten.
    Ich nahm den langen Wachsdocht, tauchte ihn in eine alte Flamme und trug das Feuer zu einer frischen Kerze und sah dann zu, wie die kleine Flammenzunge orangegelb und hell emporwuchs.
    Was für ein Wunder, dachte ich. Ein einziges kleines Flämmchen konnte so viele andere Flammen erschaffen; ein winziges Flämmchen konnte eine ganze Welt in Brand setzen. Ja, mit dieser einfachen Geste hatte ich doch schon die Gesamtsumme des Lichtes im Universum vergrößert, oder?
    Was für ein Wunder, und dafür wird es nie eine Erklärung geben, und es gibt keinen Gott und keinen Teufel, die sich in einem Pariser Cafe unterhalten. Dennoch beruhigten mich Davids verrückte Theorien, als ich ihnen in meinen Träumereien jetzt nachhing. »Wachset und mehret euch«, sagte der Herr, der große Herr Jahwe - aus dem Fleisch der beiden eine Heerschar von Kindern, wie ein Großbrand aus zwei kleinen Flammen …
    Ein plötzliches Geräusch hallte scharf und deutlich durch die Kirche wie ein planvoller Schritt. Ich erstarrte - verblüfft, weil ich nicht gemerkt hatte, daß jemand hier war. Dann fiel mir Notre Dame ein und das Geräusch von Kinderschritten auf dem Steinboden. Jähe Angst wogte über mich hinweg. Sie war da, nicht wahr? Wenn ich um die Ecke schaute, würde ich sie diesmal sehen, vielleicht mit ihrer Haube auf dem Kopf, die Locken zerzaust vom Wind, die Hände in wollenen Fausthandschuhen, und sie würde mit ihren unermeßlichen Augen zu mir aufschauen. Goldenes Haar und wunderschöne Augen.
    Wieder ein Geräusch. Ich haßte diese Angst!
    Sehr langsam drehte ich mich um und sah, wie Louis’ unverwechselbare Gestalt sich aus dem Dunkel löste. Nur Louis. Das Licht der Kerzen offenbarte langsam sein friedliches und leicht ausgemergeltes Gesicht.
    Er trug eine staubige, klägliche Jacke, und sein verschlissenes Hemd stand am Kragen offen; er sah aus, als friere er ein wenig. Er kam langsam auf mich zu und umfaßte meine Schulter mit fester Hand.
    »Dir wird wieder etwas Furchtbares zustoßen«, sagte er, und das Kerzenlicht spielte köstlich in seinen dunkelgrünen Augen. »Dafür wirst du sorgen. Ich

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