Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
lesen.«
»Nein, nicht so mühelos, wie Sie vielleicht glauben - und jetzt wahrscheinlich gar nicht mehr.«
»Ich werde Sie töten«, sagte ich, »wenn Sie mir nicht sagen, wie Sie es geschafft haben, mir zu folgen, und was Sie von mir wollen.«
»Sie wissen, was ich will.« Er lachte leise, nervös und ohne Heiterkeit; seine Augen richteten sich auf mich und drehten sich gleich wieder zur Seite. »Ich habe es Ihnen durch die Stories gesagt, aber ich kann hier in dieser Eiseskälte nicht reden. Hier ist es schlimmer als in Georgetown, wo ich übrigens wohne. Ich hatte gehofft, ich könnte dieser Art Wetter einmal entfliehen. Und warum um alles in der Welt haben Sie mich um diese Zeit nach London und Paris geschleift?« Wieder lachte er krampfhaft, trocken und bang. Offensichtlich konnte er mich immer nur einen kurzen Moment lang ansehen, bevor er wieder wegschaute, als wäre ich ein blendendes Licht. »Es war bitterkalt in London. Ich hasse die Kälte. Wir sind doch hier in den Tropen, oder nicht? Ah, Sie mit Ihren sentimentalen Träumen vom Winterschnee.«
Diese letzte Bemerkung verblüffte mich, und ich konnte es nicht gleich verbergen. Einen stummen Augenblick lang kochte ich vor Wut; dann gewann ich die Beherrschung wieder.
»Kommen Sie ins Café.« Ich deutete auf den alten French Market auf der anderen Seite des Platzes, und eilig lief ich den Gehweg entlang. Ich war zu verwirrt und aufgeregt, um noch ein Wort zu riskieren.
Im Café war es überaus laut, aber auch wann. Ich ging voraus zu einem Tisch in der hintersten Ecke, bestellte den berühmten café au lait für uns beide und saß dann starr und stumm da, ein wenig abgelenkt durch die Klebrigkeit des kleinen Tisches und grimmig fasziniert von ihm. Ihn fröstelte; ängstlich wickelte er seinen roten Schal ab, legte ihn dann wieder um und zog schließlich die feinen Lederhandschuhe aus und stopfte sie in die Taschen; dann wühlte er sie wieder hervor, zog den einen an und legte den anderen auf den Tisch, raffte ihn gleich darauf an sich und zog auch ihn wieder an.
Es hatte etwas unleugbar Grauenhaftes an sich, wie dieser verlockend prächtige Körper aufgepumpt war von seinem verschlagenen, hektischen Geist mit seinen zynischen Lachanfällen. Trotzdem konnte ich den Blick nicht von ihm wenden. Auf eine teuflische Art machte es mir Spaß, ihn zu beobachten. Und ich glaube, er wußte es.
Eine provozierende Intelligenz lauerte hinter dem makellosen, wunderschönen Gesicht. Er ließ mich erkennen, wie intolerant ich gegen alles wirklich Junge geworden war.
Unversehens wurde der Kaffee serviert, und ich legte meine bloßen Hände um die heiße Tasse und ließ mir den Dampf ins Gesicht steigen. Er beobachtete es mit seinen großen, klaren braunen Augen, als wäre er derjenige, der fasziniert war, und jetzt bemühte er sich, meinem Blick stetig und ruhig standzuhalten, was ihm sehr schwer fiel. Ein entzückender Mund, hübsche Wimpern, perfekte Zähne.
»Was zum Teufel ist los mit Ihnen?« fragte ich.
»Das wissen Sie doch. Sie haben es herausgefunden. Ich mag diesen Körper nicht, Monsieur de Lioncourt. Ein Körperdieb hat so seine kleinen Probleme, wissen Sie.«
»Das also sind Sie?«
»Ja. Ein Körperdieb ersten Ranges. Aber das wußten Sie, als Sie einverstanden waren, sich mit mir zu treffen, nicht wahr? Sie müssen mir meine gelegentliche Unbeholfenheit nachsehen. Die meiste Zeit meines Lebens war ich ein schlanker, wenn nicht gar magerer Mann. Derartig gesund noch nie.« Er seufzte, und sein jugendliches Gesicht war für einen Augenblick traurig.
»Aber diese Kapitel sind jetzt abgeschlossen«, erklärte er mit plötzlichem Unbehagen. »Lassen Sie mich gleich zur Sache kommen, aus Respekt vor Ihrer enormen übernatürlichen Intelligenz und Ihrer grenzenlosen Erfahrung…«
»Verspotte mich nicht, du kleine Rotznase!« zischte ich leise.
»Spiel mit mir, und ich reiße dich langsam in Stücke. Ich habe dir gesagt, ich kann dich nicht leiden. Nicht mal den kleinen Titel, den du dir da gegeben hast, kann ich leiden.«
Das stopfte ihm das Maul. Er wurde ganz ruhig. Vielleicht platzte ihm der Kragen, oder er war starr vor Angst. Ich glaube jedoch, seine Ängstlichkeit war einfach verflogen, und an ihre Stelle war kalte Wut getreten.
»Also gut«, sagte er leise und nüchtern, ohne alle Hektik. »Ich möchte mit Ihnen die Körper tauschen. Ich will Ihren für eine Woche. Ich werde dafür sorgen, daß Sie diesen hier bekommen. Er ist jung, er ist
Weitere Kostenlose Bücher