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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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können sicher sein. Kommen Sie. Es wird geschehen, ich verspreche es Ihnen.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Sie werden in diesem Körper sein!« Und wieder lächelte er, überaus charmant und einschmeichelnd. »Sie werden sehen.«
    »Ich möchte, daß Sie New Orleans jetzt verlassen.«
    »Ah, ja, sofort.« Und ohne ein weiteres Wort stand er auf und wich vor mir zurück, und dann bemühte er sich, seine jähe Angst zu verbergen. »Mein Ticket habe ich bereits«, sagte er. »Mir gefällt Ihr dreckiges kleines karibisches Loch nicht.« Er lachte leise und ein bißchen selbstironisch, beinahe reizend. Als er weitersprach, klang es, als sei er ein weiser Lehrer, der einen Schüler tadelte. »Wir unterhalten uns weiter, wenn Sie nach Georgetown kommen. Und versuchen Sie nicht, mir bis dahin nachzuspionieren. Ich werde es merken. Ich bin zu gut darin, solche Dinge zu merken. Sogar die Talamasca hat über meine Fähigkeiten gestaunt. Sie hätten mich bei sich behalten sollen! Sie hätten mich studieren sollen!« Er brach ab.
    »Ich werde Sie trotzdem bespitzeln«, sagte ich ebenso leise und bedächtig wie er. »Es ist mir ziemlich egal, ob Sie es merken oder nicht.«
    Er lachte wieder, ein leises, gedämpftes Lachen von unterdrückter Glut, und dann nickte er mir knapp zu und eilte zur Tür. Jetzt war er wieder das unbeholfene, plumpe Wesen, erfüllt von irrer Aufregung. Und wie tragisch das aussah, denn mit einer anderen Seele könnte dieser Körper sich sicher bewegen wie ein Panther.
    Auf dem Gehweg holte ich ihn ein; ich erschreckte ihn, ja, ich ängstigte ihn so sehr, daß er fast seinen mächtigen kleinen, übersinnlichen Verstand verlor. Auge in Auge standen wir uns gegenüber.
    »Was wollen Sie mit meinem Körper?« fragte ich. »Ich meine, außer daß Sie jeden Morgen vor der Sonne flüchten wie ein Nachtinsekt oder eine Riesenschnecke?«
    »Was glauben Sie wohl?« Wieder spielte er den charmanten englischen Gentleman mit absoluter Aufrichtigkeit. »Ich will Blut trinken.« Seine Augen weiteten sich, und er kam näher. »Ich will Leben nehmen, wenn ich es trinke. Darum geht es doch nur, oder? Es ist nicht bloß das Blut, das Sie ihnen stehlen; es ist das Leben. Noch nie habe ich jemandem etwas so Wertvolles gestohlen.« Er schaute mich mit wissendem Lächeln an. »Den Körper ja, aber nicht das Blut und das Leben.«
    Ich ließ ihn gehen, wich so heftig vor ihm zurück, wie er nur einen Augenblick vorher vor mir zurückgeschreckt war. Mein Herz klopfte, und ich erbebte, als ich ihm in sein hübsches, scheinbar unschuldiges Gesicht starrte.
    Er lächelte weiter. »Sie sind ein Dieb par excellence«, sagte er. »Jeder Atemzug, den Sie tun, ist gestohlen. 0 ja, ich muß Ihren Körper haben. Ich muß diese Erfahrung machen. In die Vampirarchive der Talamasca einzudringen war ein Triumph, aber Ihren Körper zu besitzen und damit Blut zu stehlen…! Ah, das übersteigt meine schönsten Leistungen. Sie sind der vollendete Dieb.«
    »Verschwinden Sie bloß!« wisperte ich.
    »Ach, kommen Sie, tun Sie nicht so ehrpusselig«, sagte er. »Das mögen Sie bei anderen Leuten doch auch nicht. Sie sind durchaus privilegiert, Lestat de Lioncourt. Sie haben gefunden, was Diogenes gesucht hat. Einen ehrlichen Mann!« Wieder sein breites Grinsen, und dann eine leise Salve von sprudelndem Gelächter, als könne er es nicht länger unterdrücken. »Ich erwarte Sie am Mittwoch. Und Sie müssen früh kommen, denn ich will so viel wie möglich von der Nacht haben.«
    Er wandte sich ab und lief auf die Straße hinaus; er winkte aufgeregt nach einem Taxi, stürzte sich dann ins Verkehrsgewühl und bahnte sich gewaltsam den Weg in eines, das ganz offensichtlich eben für jemand anders angehalten hatte. Es kam zu einer kleinen Auseinandersetzung, aber er trug sogleich den Sieg davon und schlug dem anderen Mann die Wagentür vor der Nase zu, als das Taxi davonschoß. Ich sah, wie er mir durch das schmutzige Fenster zuzwinkerte und winkte. Dann war das Taxi verschwunden.
    Mir war ganz schlecht, so durcheinander war ich. Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. So kühl die Nacht war, es herrschte doch reges Treiben; überall ertönte das Stimmengewirr der vorüberziehenden Touristen, und die Autos verlangsamten ihre Fahrt, wenn sie den Platz überquerten. Ohne klare Absicht oder Worte versuchte ich alles so zu sehen, wie es vielleicht im Sonnenschein aussehen würde, und ich versuchte, mir den Himmel über dem Platz in diesem

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