Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Strecke.«
»Scheint so.«
»Lestat, diese Kreatur hat etwas unleugbar Dummes an sich. Der Mann spricht acht Sprachen, kann in jedes Computernetzwerk eindringen und lange genug von den Körpern anderer Menschen Besitz ergreifen, um ihre Wandsafes auszuplündern - er ist übrigens auf eine beinahe erotische Weise besessen von Wandsafes! -, und doch spielt er den Leuten alberne Streiche und sitzt am Ende wieder in Handschellen da. Die Gegenstände, die er aus unseren Tresoren genommen hat, waren praktisch unverkäuflich. Am Ende warf er sie für einen Apfel und ein Ei auf den Schwarzmarkt. Im Grunde ist er ein Erztrottel.«
Ich lachte leise. »Diese Diebstähle sind symbolisch zu sehen, David. Er ist ein zwanghaftes, besessenes Wesen. Es ist ein Spiel. Deshalb kann er auch nicht behalten, was er stiehlt. Auf dem Prozeß kommt es ihm an, mehr als auf irgend etwas sonst.«
»Aber Lestat, es ist ein endlos zerstörerisches Spiel.«
»Das habe ich verstanden, David. Ich danke Ihnen für diese Information. Ich rufe Sie bald wieder an.«
»Moment noch, Sie können nicht einfach auflegen, ich lasse es nicht zu, ist Ihnen denn nicht klar…?«
»Aber natürlich ist es mir klar, David.«
»Lestat, es gibt eine Redensart in der Welt des Okkultismus. Gleiches zieht Gleiches an. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Was weiß ich denn über den Okkultismus, David? Das ist Ihr Revier, nicht meins.«
»Dies ist nicht die Zeit für Sarkasmus.«
»Entschuldigung. Was bedeutet es denn?«
»Wenn ein Zauberer seine Kräfte auf kleinliche, selbstsüchtige Art benutzt, dann schlägt die Magie immer auf ihn zurück.«
»Jetzt reden Sie abergläubisches Zeug.«
»Ich rede von einem Prinzip, das so alt ist wie die Magie selbst.«
»Er ist kein Magier, David; er ist nur ein Wesen mit bestimmten meß- und definierbaren übersinnlichen Kräften. Er kann von anderen Leuten Besitz nehmen. In einem Fall, von dem wir wissen, hat er tatsächlich einen Körpertausch zuwege gebracht.«
»Das ist das gleiche! Benutzen Sie diese Kräfte, um anderen zu schaden, und der Schaden fällt auf Sie selbst zurück.«
»David, ich bin der herausragende Beweis dafür, daß eine solche Theorie falsch ist. Als nächstes werden Sie mir das Konzept des Karma erklären, und ich werde langsam eindämmern.«
»James ist die Quintessenz des bösen Zauberers! Er hat bereits einmal den Tod auf Kosten eines anderen Menschen besiegt; man muß ihn aufhalten!«
»Warum haben Sie nicht versucht, mich aufzuhalten, als Sie Gelegenheit dazu hatten? Ich war Ihnen in Talbot Manor ausgeliefert. Sie hätten eine Möglichkeit finden können.«
»Versuchen Sie nicht, mich mit Ihren Vorwürfen aus dem Weg zu schieben!«
»Ich liebe Sie, David. Ich werde bald wieder mit Ihnen in Verbindung treten.« Ich wollte schon auflegen, als mir noch etwas einfiel. »David«, sagte ich. »Es gibt noch etwas, das ich gern wüßte.«
»Was denn?« Er war so erleichtert, weil ich nicht aufgelegt hatte.
»Sie haben alte Gegenstände von uns … alte Besitztümer in Ihren Tresoren.«
»Ja.« Unbehagen. Es war ihm peinlich, so schien es mir.
»Ein Medaillon«, sagte ich. »Ein Medaillon mit dem Bild Claudias - haben Sie so etwas schon mal gesehen?«
»Ich glaube ja«, sagte er. »Ich habe die Inventarliste dieser Gegenstände überprüft, nachdem Sie das erstenmal bei mir gewesen waren. Ich glaube, es war ein Medaillon dabei. Ja, ich bin beinahe sicher. Ich hätte es Ihnen schon früher sagen sollen, nicht wahr?«
»Nein. Ist nicht so wichtig. War es ein Medaillon an einer Kette, wie Frauen es tragen?«
»Ja. Soll ich dieses Medaillon für Sie suchen? Wenn ich es finde, werde ich es Ihnen selbstverständlich geben.«
»Nein, jetzt nicht. Vielleicht irgendwann später. Auf Wiedersehen, David. Ich komme bald zu Ihnen.«
Ich legte auf und zog den kleinen Telefonstecker aus der Wand. Es hatte also ein Medaillon gegeben, ein Frauenmedaillon. Aber für wen war es angefertigt worden? Und warum sah ich es in meinen Träumen? Claudia hätte niemals ihr eigenes Bildnis in einem Medaillon bei sich getragen. Wenn sie es getan hätte, würde ich mich sicher daran erinnern. Als ich versuchte, es mir vorzustellen oder mich daran zu erinnern, sah ich es von einer eigenartigen Mischung aus Trauer und Furcht erfüllt. Es war, als sei ich einem dunklen Ort sehr nah, einem Ort des realen Todes. Und wie es in meinen Erinnerungen oft geschieht, hörte ich Gelächter. Nur daß es diesmal nicht Claudias
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