Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
meinem weiteren Erstaunen hob er seine große Pranke und strich über meinen Mantel. Mit seinen großen, schweren Knochen erinnerte er mich an meine Mastiffs aus alten Zeiten. Er hatte ihre langsame, schwerfällige Anmut in seinen Bewegungen. Ich nahm ihn in die Arme, hingerissen von seiner Kraft und seiner Schwere, und er erhob sich auf die Hinterbeine, legte mir seine mächtigen Pfoten auf die Schultern und fuhr mir mit seiner großen, schinkenrosa Zunge durchs Gesicht.
Dies weckte ein wunderbares Glücksgefühl in mir; ich war wirklich dem Weinen nahe und gleich darauf einem trunkenen Lachen. Ich vergrub das Gesicht in seinem Fell, hielt ihn in den Armen und streichelte ihn; ich genoß seinen sauberen Pelzgeruch, küßte das schwarze Maul und schaute ihm in die Augen.
Ah, das also hat Rotkäppchen gesehen, dachte ich, als sie den Wolf in Großmutters Haube und Nachthemd erkannte. Eigentlich zu komisch, dieser außergewöhnliche, scharfsinnige Ausdruck in seinem dunklen Gesicht.
»Wieso erkennst du mich nicht als das, was ich bin?« fragte ich ihn. Und als er sich in seine majestätische Sitzhaltung zurückfallen ließ und beinahe gehorsam zu mir aufschaute, da erkannte ich, daß er ein Omen war, dieser Hund. Nein, »Omen« ist nicht das richtige Wort. Das hier kam nicht von irgend jemandem, dieses Geschenk. Es war nur etwas, das mir noch klarer werden ließ, was ich hier vorhatte und warum ich es vorhatte und wie wenig mich im Grunde die Risiken kümmerten, die es mit sich brachte.
Ich blieb neben dem Hund stehen und streichelte und tätschelte ihn. Einige Augenblicke vergingen. Der Garten war klein, und es schneite wieder; der Schnee ringsum wurde immer tiefer, und auch der kalte Schmerz in meiner Haut vertiefte sich. Die Bäume standen kahl und schwarz im lautlosen Treiben. Pflanzen und Gräser, die es hier geben mochte, waren natürlich unsichtbar, aber ein paar Gartenstatuen aus dunklem Beton und eine kantige, dichte Hecke - die jetzt nur aus kahlen, schneebedeckten Zweigen bestand - gab dem Ganzen ein klares, rechteckiges Muster.
Ich muß etwa drei Minuten bei dem Hund gestanden haben, als meine Hand die runde Silberscheibe fand, die an seinem Kettenhalsband hing; ich nahm sie hoch und hielt sie ins Licht.
Mojo. Ah, ich kannte dieses Wort. Mojo. Es hatte etwas mit Voodoo zu tun, mit Gris-Gris, mit Amuletten. Mojo, das war ein guter Zauber, ein schützendes Amulett. Als Hundename gefiel es mir; es war sogar ausgezeichnet, und als ich ihn Mojo nannte, wurde er ein bißchen aufgeregt und streichelte mich wieder langsam mit seiner großen, eifrigen Pfote.
»Mojo, ja?« sagte ich. »Das ist sehr schön.« Ich küßte ihn und fühlte die ledrige schwarze Haut der Nase. Noch etwas aber stand auf der Silberscheibe. Es war die Adresse dieses Hauses.
Ganz plötzlich versteifte sich der Hund; langsam und anmutig erhob er sich aus seiner Sitzposition und nahm eine wachsame Haltung ein. James kam. Ich hörte seine knirschenden Schritte im Schnee. Ich hörte das Geräusch seines Schlüssels im Haustürschloß. Ich spürte, wie er plötzlich merkte, daß ich in der Nähe war.
Der Hund knurrte tief und wild und ging näher an die Hintertür heran. Von drinnen hörte man das Knarren der Dielen unter James’ schweren Schritten.
Der Hund bellte dunkel und wütend. James öffnete die Tür, richtete den Blick seiner wilden, irren Augen auf mich, lächelte und warf etwas Schweres nach dem Tier, das leichtfüßig auswich.
»Nett, Sie zu sehen! Aber Sie sind früh dran«, sagte er.
Ich gab keine Antwort. Der Hund knurrte ihn drohend an, und verärgert wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Tier zu.
»Schaffen Sie den weg!« sagte er voller Wut. »Bringen Sie ihn um!«
»Reden Sie mit mir?« fragte ich eisig. Ich legte dem Tier meine Hand auf den Kopf, kraulte es und flüsterte ihm zu, still zu sein. Der Hund drückte sich an mich, rieb die massige Flanke an mir und setzte sich dann neben mich.
Angespannt und fröstelnd beobachtete James das alles. Unvermittelt schlug er den Kragen hoch, um sich vor dem Wind zu schützen, und verschränkte die Arme. Der Schnee wehte wie weißes Pulver über ihn hinweg und blieb an seinen braunen Augenbrauen und seinem Haar hängen.
»Er gehört zu diesem Haus, nicht wahr?« sagte ich kalt. »Dem Haus, das Sie gestohlen haben.«
Er musterte mich mit unverhohlenem Haß und ließ dann sein bösartiges Lächeln aufstrahlen. Ich wünschte mir, er würde wieder in die Attitüde des
Weitere Kostenlose Bücher