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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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benahm sich ganz wie Talbot. Vielleicht war es Absicht. Vielleicht war David sein Vorbild. Aber ich hielt es eher für eine Folge ähnlicher Erziehung und eines instinktiven Überredungstalents, das nicht einmal David besaß. »Ich bin im Grunde kein Mörder, wissen Sie«, sagte er mit unverhoffter Eindringlichkeit. »Erwerben bedeutet mir alles. Ich will Komfort und Schönheit um mich herum, jeden vorstellbaren Luxus, die Macht, dorthin zu gehen, wohin ich will, und zu leben, wo ich will.«
    »Möchten Sie, daß ich Ihnen irgendwelche Unterweisungen gebe?«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Was Sie anfangen sollen, wenn Sie in meinem Körper sind.«
    »Sie haben mir meine Unterweisung bereits gegeben, mein Lieber. Ich habe Ihre Bücher gelesen.« Er schenkte mir ein breites Grinsen, legte den Kopf leicht schräg und schaute zu mir auf, als wolle er mich ins Bett locken. »Und ich habe auch alle Dokumente in den Archiven der Talamasca gelesen.«
    »Was für Dokumente?«
    »Oh, detaillierte Darstellungen der vampirischen Anatomie - ihre offenkundigen Beschränkungen und so weiter. Sollten Sie selbst mal lesen. Vielleicht würden Sie lachen. Die ältesten Kapitel wurden im dunklen Zeitalter niedergeschrieben und sind voll von einem krausen Unfug, der sogar Aristoteles zum Weinen gebracht hätte. Aber die neueren Akten sind durchaus wissenschaftlich und präzise.«
    Mir gefiel die Richtung nicht, die dieses Gespräch nahm. Mir gefiel überhaupt nichts von dem, was hier passierte. Ich fühlte mich versucht, hier und jetzt Schluß zu machen. Und dann wußte ich plötzlich, daß ich die Sache durchziehen würde. Ich wußte es.
    Eine seltsame Ruhe senkte sich auf mich herab. Ja, in ein paar Minuten würden wir es tun. Und es würde funktionieren. Ich spürte, wie die Farbe aus meinem Gesicht wich - es war eine kaum merkliche Abkühlung der Haut, die nach den schrecklichen Strapazen in der Wüstensonne immer noch brannte.
    Ich bezweifle, daß er diese Veränderung oder eine Verhärtung meines Gesichtsausdrucks bemerkte, denn er redete weiter wie bisher.
    »Die Beobachtungen, die in den siebziger Jahren nach dem Gespräch mit dem Vampir niedergeschrieben wurden, sind die interessantesten. Und dann die ganz neuen Kapitel, inspiriert durch Ihre bruchstückhafte, fantasievolle Geschichte der Spezies - ich muß schon sagen! Nein, ich weiß alles über Ihren Körper. Vielleicht weiß ich mehr darüber als Sie. Wissen Sie, was die Talamasca wirklich gern einmal haben möchte? Eine Gewebeprobe, ein Muster Ihrer vampirischen Körperzellen! Sie sind gut beraten, wenn Sie darauf achten, daß sie eine solche Probe niemals in die Finger bekommen. Sie sind wirklich zu freizügig mit Talbot. Vielleicht hat er Ihnen die Fingernägel geschnitten oder Ihnen eine Haarlocke gestohlen, während Sie unter seinem Dach schliefen.«
    Eine Haarlocke. War in dem Medaillon nicht eine Haarlocke? Das mußte Vampirhaar sein! Claudias Haar. Mich schauderte; ich zog mich tiefer in mich selbst zurück und schloß ihn aus. Vor Jahrhunderten hatte es eine furchtbare Nacht gegeben, als Gabrielle, meine sterbliche Mutter und neugeborener Zögling, sich ihr Vampirhaar abgeschnitten hatte. In den langen Tagesstunden, derweil sie im Sarg gelegen hatte, war alles wieder nachgewachsen. Ich wollte nicht daran denken, wie sie geschrien hatte, als sie es entdeckte: prachtvolle Locken, die üppig und lang über ihre Schulter fielen. Ich wollte nicht an sie denken, nicht an das, was sie jetzt angesichts meiner Pläne zu mir sagen würde. Es war Jahre her, daß ich sie zu Gesicht bekommen hatte. Es konnte noch Jahrhunderte dauern, bis ich sie wiedersähe.
    Ich schaute James an; erwartungsvoll strahlend saß er da und bemühte sich, geduldig auszusehen. Sein Gesicht leuchtete im warmen Licht.
    »Vergessen Sie die Talamasca«, sagte ich leise. »Wieso haben Sie solche Schwierigkeiten mit diesem Körper? Sie sind unbeholfen. Wohl ist Ihnen nur, wenn Sie auf einem Stuhl sitzen und alles Ihrer Stimme und Ihrem Gesicht überlassen können.«
    »Sehr scharfsichtig«, antwortete er mit unerschütterlicher Sittsamkeit. »Finde ich nicht. Es ist unübersehbar.«
    »Der Körper ist mir einfach zu groß«, sagte er ruhig. »Zu muskulös, zu… sagen wir, athletisch? Aber für Sie ist er vorzüglich.«
    Er schwieg und schaute versonnen auf seine Teetasse. Dann sah er mich wieder an, und seine Augen blickten groß und unschuldig.
    »Lestat, jetzt kommen Sie«, sagte er. »Warum verschwenden

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