Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
ausgestreckter Hand.
»Los jetzt!« befahl James scharf, und seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Verlassen Sie jetzt Ihren Körper!«
Ich lehnte mich zurück und winkte dem Hund, er solle still sein. Dann gebot ich mir mit all meiner Willenskraft emporzusteigen, und plötzlich vibrierte meine ganze Gestalt durch und durch. Dann kam die wunderbare Erkenntnis, daß ich tatsächlich emporstieg, eine Geistgestalt, schwerelos und frei. Meine Mannesgestalt mit ihren Armen und Beinen war sichtbar unter mir, und ich streckte mich unter der weißen Zimmerdecke aus, so daß ich tatsächlich hinunterschauen und den erstaunlichen Anblick meines eigenen Körpers auf dem Stuhl sehen konnte. Oh, was für ein herrliches Gefühl - als könnte ich binnen eines Augenblicks überallhin! Als brauchte ich keinen Körper mehr, als sei meine Verbindung zu ihm nur eine Täuschung gewesen, vom Augenblick meiner Geburt an.
Der physische Körper James’ kippte ganz leicht nach vom, und seine Finger rutschten über die weiße Tischplatte nach außen. Ich durfte mich nicht ablenken lassen. Der Tausch war das Entscheidende!
»Hinunter, hinunter in diesen Körper!« sagte ich laut, aber ich hatte keine hörbare Stimme, und ohne Worte zwang ich mich, in dieses neue Fleisch, in diese physische Form hinabzufahren und darin zu verschmelzen.
Ein lautes Rauschen erfüllte meine Ohren, und dann hatte ich ein zusammenschnürendes Gefühl, als würde mein ganzes Ich durch einen engen, glitschigen Schlauch gepreßt. Unerträglich! Ich wollte die Freiheit! Aber ich spürte, wie ich die leeren Arme und Beine ausfüllte, wie sich das Fleisch schwer und kribbelnd um mich schloß und wie sich eine Maske von ähnlichen Empfindungen über mein Gesicht legte.
Ich mühte mich, die Augen zu öffnen, noch bevor mir ganz klar war, was ich da tat: daß ich die Lider eines sterblichen Körpers bewegte, daß ich tatsächlich blinzelte, daß ich durch sterbliche Augen in den matt erleuchteten Raum schaute und meinen alten Körper anstarrte, der mir gegenübersaß, während meine alten blauen Augen mir durch die violetten Brillengläser entgegenblickten, und daß ich meine alte braune Haut vor mir sah.
Ich hatte das Gefühl zu ersticken - ich mußte hier raus! -, aber dann ging mir ein Licht auf: Ich war drinnen! Ich war in dem Körper! Der Tausch war vollzogen. Unwillkürlich tat ich einen tiefen, schweren, rasselnden Atemzug und bewegte dabei diese monströse Umhüllung aus Fleisch; ich schlug mir mit der Hand an die Brust, entsetzt über ihre muskulöse Breite, und ich hörte das schwere, nasse Schwappen des Blutes in meinem Herzen.
»O Gott, ich bin drinnen«, rief ich und bemühte mich, die Dunkelheit zu durchdringen, die mich umgab, den Schattenschleier zu zerreißen, der mich daran hinderte, die strahlende Gestalt mir gegenüber klarer zu sehen, als sie jetzt zum Leben erwachte.
Mein alter Körper sprang nickartig auf und riß wie von Grauen erfüllt die Arme hoch; die eine Hand krachte gegen die Deckenlampe und ließ die Birne explodieren, während der Stuhl polternd zu Boden fiel. Der Hund sprang auf und bellte laut und bedrohlich aus tiefer Kehle.
»Nein, Mojo, runter, mein Junge«, hörte ich mich durch die enge sterbliche Kehle rufen. Noch immer versuchte ich vergeblich im Dunkeln zu sehen, und ich erkannte, daß es meine Hand war, die nach dem Halsband des Hundes griff und ihn zurückriß, ehe er den alten Vampirkörper anfallen konnte, der ihn voller Staunen anstarrte, die blauen Augen glitzernd und wild, weit aufgerissen und leer.
»Ah ja, töte ihn!« ertönte James’ Stimme mit entsetzlicher Lautstärke aus meinem alten übernatürlichen Mund.
Meine Hände fuhren zu den Ohren, um sie vor dem Lärm zu schützen. Der Hund stürzte noch einmal vorwärts, und wieder packte ich ihn beim Halsband; meine Finger schlössen sich schmerzhart um die Kettenglieder, und ich fühlte entsetzt, wie stark er war und wie wenig Kraft sich in meinen sterblichen Armen zu befinden schien. O ihr Götter, ich mußte diesen Körper zum Funktionieren bringen! Das hier war doch nur ein Hund, und ich war ein starker sterblicher Mann!
»Halt, Mojo!« flehte ich, als er mich vom Stuhl riß, daß ich schmerzlich auf die Knie fiel. »Und Sie, machen Sie, daß Sie rauskommen!« brüllte ich. Die Schmerzen in meinen Knien waren entsetzlich, und meine Stimme klang mickrig und stumpf. »Raus!« schrie ich noch einmal.
Das Wesen, das vorher ich gewesen war, tanzte mit
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