Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
über mir in der dunklen Nacht nach Ruhe verlangten.
    Weiter und weiter ging ich, allein, still vor mich hin weinend. Sonst war nichts in den leeren Straßen zu hören. Zusammengekrümmt schleppte ich mich fort, ohne daß noch jemand von mir Notiz genommen oder mich aufgehalten hätte, obwohl ich jetzt wieder lauthals jammerte. Ich spürte den Drang, das Geschehene noch einmal vor meinen Augen aufleben zu lassen, doch ich hatte schreckliche Angst, daß mich das endgültig umwerfen würde. Und Roger, Roger… O Gott, meine ungeheuerliche Selbstsucht brachte mich fast so weit, zu Dora zu gehen und mich vor ihren Füßen niederzuwerfen. Das ist mein Werk, ich habe ihn getötet, ich…
    Scheinbar befand ich mich wieder mitten in der Stadt. In einem Schaufenster waren Nerzmäntel ausgestellt. Schneeflocken senkten sich sanft und zart auf meine Augenlider. Ich nahm das Halstuch und wischte mir damit sorgfältig das Gesicht ab, um die Spuren der blutigen Tränen zu beseitigen. Dann stolperte ich in ein kleines, freundliches Hotel, nahm ein Zimmer - Barzahlung, extra großes Trinkgeld, keine Störung für die nächsten vierundzwanzig Stunden, bitte -, ging nach oben, schloß die Tür hinter mir ab, zog die Vorhänge dicht zu, drehte die miefige, lästige Heizung ab. Dann kroch ich unter das Bett und legte mich schlafen.
    Die Sonne würde erst in einigen Stunden aufgehen - Zeit genug für Träume -, und ehe ich tief in sterblichem Schlummer versank, ging mir noch ein merkwürdiger Gedanke durch den Kopf, nämlich, daß David ganz schön sauer sein könnte, aber daß Dora vielleicht alles glauben und verstehen würde…
    Der Himmel hellte sich schon auf, als ich erwachte. Also hatte ich doch wenigstens ein paar Stunden Ruhe gehabt. Jetzt war die Nacht fast vorbei, das Vergessen nahe. War ich froh! Keine Zeit mehr zu grübeln. Eintauchen in den tiefen Vampirschlaf. Tot mit all den anderen Untoten, wo immer sie sich auch vor dem nahenden Licht verkriechen mochten.
    Da schreckte mich eine Stimme auf. Sie sagte sehr deutlich: »So einfach wird es nicht sein.«
    In einem Schwung, das Bett über mir kippte weg, stand ich auf den Füßen und starrte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Das kleine Hotelzimmer wurde zur Falle.
    In der Ecke stand ein Mann, ein ganz gewöhnlicher Mann, nicht besonders groß oder klein oder schön wie Roger oder auffallend wie ich, nicht einmal sehr jung oder sehr alt, einfach ein Mann. Ein recht nett aussehender Mann, Arme gekreuzt, ein Fuß über den ändern geschlagen.
    In diesem Augenblick erschien die Sonne über den Dächern, ihr Feuer traf das Fenster und blendete mich so, daß ich nichts mehr erkennen konnte.
    Ich sank wieder zu Boden, vom Licht nur leicht verletzt, das Bett fiel schützend über mich.
    Dann das Nichts. Wer oder was auch immer das gewesen sein mochte, ich war machtlos, nun, da die Sonne aufging, und hätte der weiße Schleier des Wintermorgens sie auch noch so dicht verhüllt.

Kapitel 5
    A lso gut«, sagte David. »Laß jetzt das Hin-und-her-Gerenne und setz dich. Und ich bitte dich, mit mir noch einmal jede winzige Kleinigkeit durchzugehen. Wenn du vorher trinken mußt, werden wir eben gehen und -«
    »Ich habe es dir schon mal gesagt! Ich bin darüber hinaus, trinken zu müssen. Ich brauche das Blut nicht. Ich lechze danach, ich liebe es. Aber jetzt will ich keins. Letzte Nacht habe ich mich wie ein unersättlicher Dämon an Roger gütlich getan. Sprich jetzt bloß nicht von Blut!«
    »Würdest du dich dann bitte zu mir an den Tisch setzen?«
    David hatte im Olympic Tower genau die richtigen Räumlichkeiten für uns bekommen, auf gleicher Höhe mit den Turmspitzen der Kathedrale, so daß ich durch die Panoramafenster, vor denen ich gerade stand, auf ihre Dächer hinabsehen konnte.
    Das Apartment war um vieles größer als für uns notwendig, aber die unmittelbare Nachbarschaft der Kathedrale, die mir so wichtig war, machte es zu einem perfekten Domizil. Diese Räume wurden »schlüsselfertig« vermietet, möbliert in dem übertriebenen edlen Stil der Geschäftswelt - jede Menge Mahagoni und Leder, alles dezent und unaufdringlich in Beige, Braun und Gold gehalten. Und Blumen. David hatte dafür gesorgt, daß ihr Duft nicht fehlte.
    Ich seufzte. »Hör mal, es tut mir leid. Aber ich will nicht wieder von vom anfangen. Entweder du akzeptierst alles so, wie ich es dir erzählt habe, oder ich… ich… verliere den Verstand. Wir haben jetzt auch gar nicht genug Zeit.

Weitere Kostenlose Bücher