Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
gewesen. Ehe ich mich noch zurückhalten konnte, stieß ich einen regelrechten Kriegsschrei aus und stürzte mich wieder auf ihn, obwohl ich nicht hätte sagen können, von welchem Halt aus oder durch welche Kraft.
Ein Wirbel schwarzer Federn umgab mich, glatt und schimmernd, und dann fiel ich; nein, ich würde nicht schreien, einen Dreck würde ich, ich wollte einfach nicht. Ich fiel wie ein Stein in eine alptraumhafte Tiefe, und ringsumher war eine unvorstellbare, vollkommene Leere. Nur das Licht überstrahlte alles in einer solchen Schönheit, daß mir jedes Gefühl für meinen Körper abhanden kam. Ich hatte weder Form noch Gewicht. Nur der anhaltende Fall jagte mir noch Schrecken ein, so als solle mich die Schwerkraft an den sicheren Untergang erinnern. Eine Woge von Stimmen überflutete mich.
»Sie singen wirklich!« rief ich aus. Dann lag ich still.
Zögernd tastete ich nach dem Boden unter mir, fühlte die rauhe Oberfläche des Teppichs. Geruch nach Staub und Wachs. Ich wußte, wir waren immer noch im selben Zimmer.
Er hatte sich in Louis’ Sessel gesetzt, und ich lag da, auf dem Rücken, und starrte an die Decke, meine Brust voll von beißendem Schmerz.
Ich richtete mich mit gekreuzten Beinen auf und sah ihn trotzig an.
Er war verwundert. »Die Sache ergibt Sinn«, sagte er.
»Welchen Sinn sollte sie ergeben?«
»Du bist genauso mächtig wie einer von uns.«
»Nein«, sagte ich wutentbrannt. »Das glaube ich nicht. Flügel kann ich mir nicht wachsen lassen und auch keine Musik erzeugen.«
»Aber ja doch, du hast Sterblichen Visionen eingegeben oder sie in Bann geschlagen, und zwar ganz bewußt. Du bist so stark wie wir. Du hast wirklich eine interessante Stufe in deiner Entwicklung erreicht. Ich wußte die ganze Zeit, daß ich recht hatte mit dem, was ich von dir denke. Ich bin wirklich beeindruckt.«
»Weswegen? Wegen meiner Unabhängigkeit? Weißt du, laß mich dir etwas sagen, Satan oder wer immer du bist.«
»Benutz diese Bezeichnung nicht, ich hasse sie.«
»Das könnte mich veranlassen, meine Worte um so häufiger damit zu würzen.«
»Mein Name ist Memnoch«, sagte er mit einer kleinen bittenden Geste. »Memnoch, der Teufel. So solltest du es dir einprägen.«
»Memnoch, der Teufel.«
»Ja.« Er nickte. »Mit diesem Namen pflege ich zu signieren.«
»Nun denn, laßt Euch eins sagen. Königliche Hoheit der Finsternis: Ich werde Euch in keiner Weise behilflich sein! Ich diene Euch nicht!«
»Ich glaube, du wirst deine Meinung ändern«, sagte er ruhig. »Ich denke, du wirst die Dinge schon bald von meinem Standpunkt aus sehen.«
Plötzlich fühlte ich mich vollkommen erschöpft und verzweifelt, ich sackte zusammen. Typisch für mich. Ich rollte mich auf den Bauch, legte den Kopf auf die Arme und begann zu heulen wie ein Kind. Ich verging fast vor Erschöpfung, so erledigt und elend fühlte ich mich. Und außerdem weine ich natürlich gerne. Und jetzt brauchte ich das einfach; ich weinte mit Hingabe, und so kummerbeladen, wie ich war, befreite mich das zutiefst. Mir war verdammt egal, wer mich sah oder hörte. Ich weinte ohne Unterbrechung.
Wissen Sie, was ich glaube? Die meisten Leute können nicht richtig weinen. Aber wenn man den Trick erst einmal raus hat, dann gibt es nichts Besseres. Mir tut jeder leid, der das nicht kann. Es ist wie Singen oder Pfeifen.
Wie auch immer, aus dieser momentanen Erleichterung durch Schluchzen und salzig-blutige Tränen schöpfte ich dennoch nicht allzuviel Trost.
Ich erinnerte mich daran, wie ich vor vielen, vielen Jahren Notre-Dame betreten hatte, während diese miesen kleinen Vampire mir draußen auflauerten, diese Diener des Satans; ich dachte an mein sterbliches Ich, dachte an Dora, an den Armand jener Tage, den unsterblichen knabenhaften Anführer der Auserwählten Satans, der als dunkler Heiliger seine zerlumpten Bluttrinker aussandte, um Sterbliche zu foltern und zu quälen, Furcht und Tod zu verbreiten wie einen Pesthauch. Schluchzen schnürte mir wieder die Kehle zu.
Ich glaube, ich sagte: »Das ist einfach nicht wahr! Es gibt keinen Gott, es gibt keinen Teufel.«
Er antwortete nicht. Ich drehte mich um, richtete mich auf und wischte mir das Gesicht am Ärmel ab. Natürlich, kein Taschentuch; das hatte ich ja Dora gegeben. Meine Kleider verbreiteten dort, wo sie an meiner Brust gelehnt hatte, einen feinen Duft nach Dora, o süßer Duft von Blut. Ich hätte Dora nicht allein lassen dürfen in ihrem Zustand. Lieber Gott, ich mußte
Weitere Kostenlose Bücher