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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Er presste mich hart an sich und verteilte Küsse auf meiner Kehle und meinen Schultern bis hinab auf meine Brust. »Jetzt kann ich dir nicht mehr wehtun, keine noch so feste Umarmung kann dir versehentlich das Lebenslicht ausblasen. Du bist mein, aus meinem Fleisch, von meinem Blut.«
    Er hielt inne. Er weinte und wollte nicht, dass ich es sah. Er wandte sich ab, als ich versuchte, sein Gesicht mit meinen aufdringlichen Händen zu fassen.
    »Herr, ich liebe dich«, sagte ich.
    »Gib Acht«, sagte er, indem er mich abschüttelte, offensichtlich unangenehm berührt von seinen Tränen. Er wies auf den Himmel. »Du wirst immer merken, wenn der Morgen naht, wenn du nur Acht gibst. Spürst du es? Hörst du die Vögel? Überall auf der Welt gibt es solche Vögel, die kurz vor dem Morgengrauen mit ihrem Gesang beginnen.« Da fiel mir etwas ein, ein düsterer, scheußlicher Gedanke, dass eines der Dinge, die mir in dem Kloster der Höhlen gefehlt hatten, das Singen der Vögel gewesen war. Draußen in der Wildnis, wenn ich mit meinem Vater auf der Jagd und von einem Gebüsch zum anderen geritten war, war mein liebstes Geräusch der Gesang der Vögel. Nie hatten wir uns lange in den elenden Bruchbuden entlang des Flusses aufgehalten, sondern waren immer wieder zu den verbotenen Touren in die Steppe aufgebrochen, von denen so viele Männer nicht zurückgekommen waren.
    Doch das war vorbei. Ich hatte das ganze liebliche Italien ringsum, die liebliche Serenissima. Ich hatte meinen Herrn, ich hatte den gewaltigen, üppigen Zauber dieser Verwandlung.
    »Für dies hier bin ich also in die Wildnis geritten«, flüsterte ich. »Für dies hier hat er mich damals an jenem letzten Tag aus dem Kloster geholt.«
    Mein Herr sah mich betrübt an. »Ich hoffe es«, sagte er. »Was ich von deiner Vergangenheit weiß, habe ich erfahren, wenn dein Geist wie ein offenes Buch vor mir lag, doch er ist mir nun verschlossen, verschlossen, weil ich dich zu einem Vampir gemacht habe, zu dem, was ich auch bin, und wir werden nie wieder einer des anderen Gedanken lesen können. Wir sind zu nah verwandt, das Blut, das wir beide teilen, dröhnt betäubend laut in unseren Ohren, wenn wir uns schweigend miteinander verständigen wollen. Deswegen löse ich mich endgültig von diesen grausigen Bildern des Klosters, die so deutlich in deinem Geiste aufblitzten, wenn auch immer unter Todeskampf, beinahe unter Verzweiflung.«
    »Verzweiflung, ja, und all das ist nun vorbei, verweht, wie die Seiten eines Buches, die man herausreißt und in den Wind streut. Genau so, verweht.«
    Er drängte mich vorwärts, doch wir waren nicht auf dem Heimweg. Wir nahmen einen anderen Weg durch verborgene Gassen. »Wir gehen nun zu unserer Wiege«, erklärte er. »Das ist unsere Krypta, unser Bett und gleichzeitig unser Grab.«
    Wir betraten einen alten, heruntergekommenen Palazzo, den nur einige Mittellose als Schlafstätte nutzten. Das gefiel mir nicht. Mein Herr hatte mich zu sehr an Luxus gewöhnt. Doch schnell betraten wir ein Kellergeschoss, eigentlich eine Unmöglichkeit in dem im Wasser liegenden Venedig, ein Keller war es dennoch. Unser Weg rührte uns über steinerne Stufen und durch eine bronzene Doppeltür, die Menschen nicht ohne Hilfsmittel öffnen konnten, bis wir in der tintigen Dunkelheit das endgültige Gelass gefunden hatten. »Ich zeige dir einen Trick«, flüsterte mein Herr. »In einer fernen Nacht wirst du selbst stark genug sein, um ihn anzuwenden.«
    Ich hörte einiges Geknister, ein leichtes Fauchen und dann flammte eine flackernde Fackel in seiner Hand. Er hatte sie einzig mit der Kraft seines Geistes entzündet.
    »Mit jedem Jahrzehnt, jedem vergehenden Jahrhundert, wirst du an Kraft gewinnen, und oftmals während deines langen Lebens wirst du entdecken, dass deine Zauberkräfte eine große Entwicklung durchgemacht haben. Stell sie sorgfältig auf die Probe und schätze, was du herausfindest. Nutze es klug. Und drücke dich niemals vor deinen Fähigkeiten, denn das ist genauso dumm, wie wenn ein Mensch seine Kraft nicht einsetzt.«
    Ich nickte, starrte dabei aber wie durch Zauber gefesselt in die Flammen. Nie zuvor hatte ich in einem schlichten Feuer solche Farbspiele gesehen, auch fürchtete ich mich nicht einmal davor, obwohl ich wusste, dass es das Einzige war, was mich vernichten konnte. Er hatte das doch gesagt, oder?
    Er zeigte mit einer Geste, dass ich den Raum begutachten sollte. Was war das für ein herrliches Gemach! Es war mit Gold ausgelegt!

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