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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schmutz, an die Feuchtigkeit, an drohende Erkältung. Kein Gedanke mehr daran, dass irgendwelche nächtlichen Krabbeltiere mir zu nahe kamen. Uninteressant, was jemand denken mochte, der aus seinem Fenster lugte. Uninteressant die späte Stunde. Seht mich an, ihr Sterne! Seht mich an, wie ich euch ansehe.
    Schweigend und glitzernd, diese kleinen Augen des Himmels. Der Sterbeprozess setzte ein. Ein vernichtender Schmerz erfasste meinen Magen und wanderte bis in die Eingeweide.
    »Nun wird alles, was von dem sterblichen Jungen übrig ist, aus deinem Körper gespült«, erklärte mein Herr. »Du musst keine Angst haben.«
    »Keine Melodien mehr?«, hauchte ich. Ich rollte mich auf die Seite und legte den Arm um meinen Herrn, der sich neben mir ausgestreckt hatte. Er zog mich an sich.
    »Soll ich dir ein Schlaflied singen?«, fragte er zärtlich.
    Ich rückte von ihm ab, als eine eklige Flüssigkeit aus mir hervorzuströmen begann. Im ersten Moment schämte ich mich, doch das währte nicht lange. Mein Herr hob mich auf, ganz mühelos, wie immer, und drückte mein Gesicht gegen seinen Hals. Um uns rauschte der Wind. Dann spürte ich plötzlich das kalte Wasser der Adria, und ich merkte, dass ich offensichtlich von den Wellen getragen wurde. Das Wasser war salzig und köstlich und ganz ohne Gefahr für mich. Ich drehte und wand mich darin, und als ich merkte, dass ich allein war, versuchte ich mich zurechtzufinden. Ich war weit draußen, nahe der Lidoinsel. Ich warf einen Blick zurück und konnte zwischen den vor Anker liegenden Schiffen hindurch die flackernden Fackeln des Dogenpalastes sehen, mit einer Schärfe der Sicht, die schon Ehrfurcht gebot.
    Ein Durcheinander von Summen kam vom Hafen, es war, als schwömme ich insgeheim mitten zwischen den Schiffen, obwohl ich weit draußen war. Das war wirklich eine bemerkenswerte Fähigkeit, diese Stimmen zu hören, sich sogar eine herauszupicken, frühmorgendliches Murmeln zu vernehmen und dann das Ohr auf noch eine weitere Person zu richten, um die Worte zu verstehen. Ich ließ mich unter dem dunklen Himmel eine Weile lang dahintreiben, bis der Schmerz völlig nachgelassen hatte. Ich fühlte mich sauber, und ich wollte nicht länger allein sein. Ich kehrte um und schwamm ohne die kleinste Anstrengung zum Hafen hinüber, wo ich in der Nähe der Schiffe untertauchte. Was mich verblüffte, war, dass ich nun unter Wasser sehen konnte! Für meine Vampiraugen war dort unten genug Licht, um die riesigen Anker zu erkennen, die sich in den muschelbewachsenen Grund der Lagune bohrten, und die geschwungenen Kiele der Galeonen. Ein ganzes Unterwasseruniversum gab es dort. Ich hätte es gern näher untersucht, doch mein Herr rief mich - nicht mit seiner telepathischen Stimme, wie wir das heute nennen, sondern mit seiner normalen Stimme rief er gedämpft, dass ich auf die Piazza zurückkehren solle, wo er mich erwartete. Ich schälte mir die übel riechende Kleidung vom Körper und stieg splitternackt aus dem Wasser. Dann eilte ich hinüber zu ihm, mit einem Gefühl des Entzückens, als ich merkte, dass die scharfe Nachtkälte mir kaum etwas ausmachte. Sobald ich ihn sah, breitete ich lächelnd die Arme aus. Er hielt einen Pelzumhang im Arm, den er nun ausbreitete und um mich legte, wobei er mich auch gleich damit trockenrubbelte.
    »Du genießt deine neue Freiheit! Deine nackten Füße empfinden die Kälte des Pflasters nicht. Wenn du dich schneidest, wird deine unverwüstliche Haut sofort heilen, und die nächtlichen Kriechtierchen erregen keinen Ekel in dir. Sie können dir nichts anhaben. Keine Krankheit kann dir etwas anhaben.« Er überschüttete mich mit Küssen. »Selbst das verseuchteste Blut wird dich nur nähren, denn dein übernatürlicher Körper reinigt es, absorbiert es. Du bist nun eine mächtige Kreatur - und tief hier drinnen? Hier in deiner Brust, auf der meine Hand liegt, da ist immer noch dein Herz, dein menschliches Herz.«
    »Ist das denn wirklich so?«, fragte ich. Ich war erheitert, schelmisch. Warum immer noch so menschlich?
    »Amadeo, hast du mich je unmenschlich gefunden? Hast du mich grausam gefunden?«
    Meine Haare hatten das Wasser abgestoßen, sie waren fast auf der Stelle getrocknet. Nun verließen wir. Arm in Arm, ich in den schweren Pelz gehüllt, die Piazza. Als ich nicht antwortete, blieb er stehen, umarmte mich abermals und küsste mich erneut gierig. Ich sagte: »Du liebst mich in meiner neuen Form sogar noch mehr als zuvor.«
    »O ja«, stöhnte er.

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