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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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griff danach und trank den Wein so gierig, wie ich Blut trinke.
    »Schau mich genau an«, sagte ich.
    »Idiot! Es ist zu dunkel hier drin: Wie soll ich überhaupt irgendetwas genau sehen? Hmmm, aber das hier ist gut. Dank Euch.« Plötzlich, die Flasche vor dem Mund, hielt er in der Bewegung inne. Der Vorgang war irgendwie seltsam, es war, als wäre er im Wald und hätte gerade gespürt, dass sich ein Bär oder sonst eine tödliche Bestie über ihn hermachen wollte. Er erstarrte, so wie er da saß, mit der Flasche in der Hand, und nur seine Augen bewegten sich, als er zu mir aufblickte. »Andrei«, flüsterte er.
    »Ich lebe, Vater«, sagte ich sanft. »Sie haben mich nicht getötet. Sie nahmen mich als Beute und haben mich verkauft. Per Schiff haben sie mich zuerst nach Süden gebracht, und dann wieder weiter in den Norden, nach Venedig, und da lebe ich nun.«
    Seine Augen blickten ruhig. Es war sogar so, dass sich eine wunderbare, stille Heiterkeit in ihm ausbreitete. Er war zu betrunken, als dass sich sein Verstand aufgelehnt hätte, oder dass ihn billige Überraschung zu Freudenausbrüchen verleitet hätte. Im Gegenteil, die Wahrheit schlich sich langsam in sein Bewusstsein, schwappte in einer Welle über ihn hinweg und macht ihn kleinlaut, und er erkannte genau, was daraus zu folgern war: dass ich nicht gelitten hatte, dass ich reich war, dass es mir gut ging.
    »Ich war dem Untergang nahe, Vater«, erklärte ich in dem gleichen sanften Flüsterton, den bestimmt nur er vernehmen konnte. »Ja, ich war dem Untergang nahe, aber es fand mich jemand, ein gutherziger Mann, der mich wiederherstellte, und seitdem gab es keine Leiden mehr für mich. Ich habe eine lange Reise hinter mich gebracht, um dir das zu sagen, Vater. Ich hatte nicht gewusst, dass du noch lebst. Ich hätte es mir nicht träumen lassen. Ich dachte, du wärst selbst an jenem Tag untergegangen, als die Welt für mich unterging. Und nun bin ich hier, um dir zu sagen, dass du dich meinetwegen nie, nie mehr bekümmern darfst.«
    »Andrei«, flüsterte er, aber seine Miene veränderte sich nicht. Nur gelassenes Staunen zeigte sich darin. Er saß ganz still, beide Hände um die Flasche gelegt, die er in seinen Schoß hatte sinken lassen. Seine mächtigen Schultern hielt er sehr gerade, sein langes, rot-grau meliertes Haar, so lang wie je, verschmolz mit dem Pelz seines Mantels. Er war ein wunder-wunderschöner Mann. Erst mit den Augen des Monstrums, das ich nun war, konnte ich es erkennen. Und erst die tiefere Sicht des Dämons ließ mich die Kraft in seinen Augen sehen, die sich mit der Stärke seiner gigantenhaften Gestalt vereinte. Nur die blutunterlaufenen Augen kündeten von seiner Schwäche. »Vergiss mich nun, Vater«, sagte ich. »Vergiss mich, als ob mich die Mönche fortgeschickt hätten. Aber eines vergiss nicht: Du bist der Grund dafür, dass ich niemals in den lehmigen Grüften des Klosters begraben sein werde. Andere Dinge mögen mir zustoßen. Aber das eine werde ich nicht erleiden müssen. Und dafür bist du der Grund. Du wolltest es nicht, du bist an jenem Tag gekommen und hast verlangt, dass ich mit dir ausreite, dass ich mich als dein Sohn erweisen soll.«
    Ich wandte mich zum Gehen. Er schoss vorwärts. Mit der linken Hand hielt er die Flasche am Hals gepackt, während sich seine mächtige Rechte wie eine Klammer um mein Handgelenk schloss. Stark wie früher zog er mich zu sich nieder, als wäre ich nur ein Sterblicher, und presste seine Lippen auf meinen gesenkten Kopf. Ach Gott, lass es ihn nicht merken! Lass ihn nichts spüren von der Veränderung in mir! Verzweifelt schloss ich die Augen.
    Aber ich war noch ein junger Vampir, nicht so hart und kalt wie mein Herr, nein, nicht einmal halbwegs, nein, sogar noch viel weniger. Und mein Vater fühlte nur mein weiches Haar und vielleicht eine eisige Sanftheit meiner Haut, die er dem Winter zuschreiben würde. »Andrei, mein Engelskind, mein begabter, kostbarer Sohn!« Ich drehte mich zu ihm um, legte den linken Arm fest um ihn und überschüttete ihn mit Küssen, wie ich es als Kind niemals getan hätte. Ich drückte ihn an mein Herz.
    »Vater, lass das Trinken«, flüsterte ich ihm ins Ohr. »Steh auf und sei wieder der Jäger. Sei, was du wirklich bist, Vater!«
    »Andrei, kein Mensch wird es mir glauben.«
    »Und wer würde dir das ins Gesicht sagen wollen, wenn du wieder du selbst bist, Mann?«, fragte ich.
    Wir sahen uns in die Augen. Ich hielt die Lippen fest geschlossen, weil er auf

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