Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
gar keinen Fall die scharfen Zähne sehen sollte, die ich dem vampirischen Blut verdankte, die kleinen bösen Vampirzähne, die ein Mann wie mein Vater, der geborene Jäger, höchstwahrscheinlich nicht übersehen würde.
Aber er suchte nach keinem Grund, mich abzulehnen. Er wollte nur Liebe, und die schenkten wir einander.
»Ich muss gehen, ich habe keine Wahl«, sagte ich. »Ich habe mir die Zeit für dich gestohlen. Vater, sag der Mutter, dass ich es war, der vorhin ins Haus kam, und dass ich es war, der ihr die Ringe gab, und deinem Bruder die Börse.«
Ich rückte von ihm ab. Ich setzte mich neben ihn auf die Bank. Ich zog den rechten Handschuh aus und betrachtete die sieben oder acht Ringe, die ich trug, alle aus Gold oder Silber und reichlich mit edlen Steinen verziert, und dann zog ich sie einen nach dem anderen ab und legte sie in seine Hand. Wie weich und heiß die Hand war, so kräftig durchblutet und lebendig!
»Nimm du sie, denn ich habe Unmengen davon. Und ich werde dir schreiben und dir mehr schicken, damit du nie wieder etwas anderes tun musst, als wozu du Lust hast - reiten und jagen und beim Feuer die alten Sagen erzählen. Kauf eine schöne Harfe davon, oder kauf Bücher für die Kleinen, kauf, was du willst.«
»Ich will das nicht. Ich will dich , mein Sohn!«
»Ja, und ich will dich, mein Vater, aber der Wille ändert nichts.« Ich legte meine Hände um sein Gesicht, zeigte vielleicht unkluger Weise meine Kraft, doch ich hielt ihn fest, während ich ihm meine Abschiedküsse aufdrückte, und dann, nach einer letzten, langen, herzlichen Umarmung, erhob ich mich, um zu gehen.
Ich war so schnell aus dem Raum verschwunden, dass er nichts als das Zufallen der Tür gesehen haben kann.
Schnee fiel. Einige Meter entfernt sah ich meinen Herrn stehen, und nachdem ich zu ihm hinübergegangen war, stiegen wir gemeinsam den Hügel hinauf. Ich wollte nicht, dass mein Vater herauskam. Ich wollte weg von hier, so schnell ich konnte. Ich überlegte gerade, ob wir uns auf vampirische Geschwindigkeit verlegen und Kiew hinter uns lassen sollten, als ich jemanden auf uns zu eilen sah. Es war eine kleine Frau in langem, schwerem Pelz, dessen Saum durch den nassen Schnee schleifte. Im Arm trug sie etwas Glänzendes.
Ich stand wie angenagelt, während Marius auf mich wartete. Es war meine Mutter, die mich treffen wollte. Meine Mutter, die auf dem Weg zur Schenke war, und im Arm, mir zugekehrt, trug sie eine Ikone, die mit dem tiefernst blickenden Christus, die Ikone, die ich durch den Riss in der Wand so lange betrachtet hatte.
Ich atmete tief durch. Sie hob das Bild hoch und hielt es mir entgegen. Dabei flüsterte sie: »Andrei.«
»Mutter, bitte behalte es, für die Kleinen, bitte.« Ich umarmte und küsste sie. Ach, wie so alt, so elendig alt schien sie! Aber das hatten ihr die Schwangerscharten angetan, sie hatten ihre Kräfte aufgezehrt, und das hauptsächlich für Säuglinge, die dann in kleinen Gräbern in der Erde ruhten. Ich dachte an all die Kinder, die sie verloren hatte, während ich noch klein war, und wie viele es schon gewesen waren, ehe ich zur Welt kam. Sie hatte sie ihre kleinen Engelchen genannt, zu klein, um zu überleben.
»Behalte es«, sagte ich. »Behalte es hier, für die Familie.«
»Gut, Andrei«, sagte sie und schaute mich aus blassen, leidenden Augen an. Ich sah, dass sie schon vom Tod gezeichnet war. Mir wurde plötzlich klar, dass nicht nur das Alter an ihr nagte oder die Mühen der Schwangerschaften. Sie wurde von innen heraus verzehrt und würde wirklich bald sterben. Entsetzen packte mich, als ich sie ansah, Entsetzen auch wegen der ganzen sterblichen Menschheit. Und meine Mutter, sie litt nur unter einer dummen, ganz gewöhnlichen und unvermeidbaren Krankheit!
»Leb wohl, mein liebster Engel«, sagte ich.
»Und Lebewohl dir, mein liebster Engel«, entgegnete sie. »Ich bin von tiefstem Herzen froh, dass du ein stolzer Fürst bist. Aber zeig mir doch, ob du das Kreuzzeichen auch richtig machst!«
Sie klang so verzweifelt! Sie meinte, was sie sagte. Sie fragte sich, ob ich all diesen Reichtum nur erworben hatte, indem ich zur Kirche des Westens konvertiert war.
»Mutter, das ist eine einfache Probe.« Ich schlug das Kreuz für sie, auf unsere Art, von der rechten Schulter ausgehend nach links, dabei lächelte ich.
Sie nickte. Dann zog sie vorsichtig etwas aus ihrem dicken, wollenen Schürzenkleid und reichte es mir, indem sie es erst losließ, als ich die Hände zu einem
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