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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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fürchte den Tod mehr als das Leben, und ich kann nicht allein sein, du darfst nicht ins Feuer gehen, du kannst mich nicht allein zurücklassen.«
    Nein, das ging nicht. Das Feuer meiner Gefühle brannte nicht heiß genug für diesen Schritt. Ich konnte nicht mehr hoffen, auch wenn seit Jahrzehnten kein Wort mehr von dem römischen Orden verlautet war. Aber die Jahrhunderte in Satans Dienst fanden ein Ende. Es kam in rotem Samt, dem gleichen Stoff, den mein alter Meister so geliebt hatte, der König meiner Träume, Marius. Es kam mit prahlerischen Schritten, hauste in den hellen Straßen von Paris, als ob es von Gott geschaffen wäre.
    Aber es war ein Vampirkind wie ich, ein Sohn des siebzehnten Jahrhunderts, ein auffälliger, frecher, wichtigtuerischer, lachender, spöttischer Bluttrinker in Gestalt eines jungen Mannes, und was von dem heiligen Feuer noch in den narbigen Schrunden meiner Seele vorhanden war, trat er aus, und dann verstreute er die Asche. Es war der Vampir Lestat. Es war nicht seine Schuld. Wenn einer von uns es eines Nachts geschafft hätte, ihn niederzuschlagen, mit seinem eigenen prächtigen Schwert zu zerstückeln und ihn dann zu verbrennen, wir hätten vielleicht noch ein paar Jahrzehnte länger an unseren jämmerlichen Verirrungen festhalten können.
    Aber keinem gelang es. Er war zu stark für uns.
    Von einem alten, mächtigen Abtrünnigen, einem legendären Vampir namens Magnus geschaffen, wurde dieser Lestat, dieser blauäugige, unendlich selbstbewusste Lestat noch in der Nacht seines Entstehens zur Waise, weil sich das alte Ungeheuer, sein Erzeuger, in die alles verschlingenden Flammen stürzte, nachdem er ihm in dem versteckten Gemach eines bröckelnden, mittelalterlichen Turmes ein Vermögen übereignet hatte.
    Dieser Lestat, zwanzig sterbliche Jahre alt, ein unmoralischer, verarmter Aristokrat aus der Auvergne, der Brauch und Anstand und jede Aussicht auf höfische Erfolge hatte fallen lassen - die er sowieso nicht gehabt hätte, da er nicht einmal lesen und schreiben konnte und viel zu unverschämt war, um bei Hofe aufzuwarten -, er wurde eine wüste, blonde Berühmtheit unter den Gossenschauspielern des Boulevards. Er war ein lachender Hans-Dampf-in-allen-Gassen, eine Art Genie, ehrgeizig und selbstverliebt, der mit Männern und Frauen gleichermaßen ins Bett ging.
    Der Lestat, der nichts von dem alten Orden und den alten Bräuchen wusste, nichts von rußverschmierten Schurken, die unter den Gräbern hausten und das Recht zu haben glaubten, ihn als Ketzer zu brandmarken, als Außenseiter und Wechselbalg des finsteren Blutes, dieser Lestat stolzierte durch das elegante Paris. Einsam, gequält von seinen übersinnlichen Fähigkeiten und doch mit seinen neuen Gaben prunkend, so tanzte er in den Tuilerien mit prachtvoll gewandeten Damen, vergnügte sich in Ballett und Theater und durchstreifte nicht nur die Stätten des Lichts, wie wir dazu sagten, sondern erging sich sogar in Notre Dame de Paris, stand direkt vor dem Hochaltar, ohne dass ihn das Feuer Gottes auf der Stelle niederstreckte. Er vernichtete uns. Er vernichtete mich.
    Nachdem wir ihn pflichtgemäß gefangen genommen und in unseren unterirdischen Gerichtssaal geschleppt hatten, wo wir ihm den Prozess machen wollten, hatte Allesandra, damals schon verrückt wie die meisten Alten jener Zeit, eine lebhafte Auseinandersetzung mit ihm, und dann stürzte auch sie sich ins Feuer und überließ mich der offensichtlichen Absurdität: dass unsere Bräuche überholt waren, unsere abergläubischen Vorstellungen lachhaft und unsere staubigen schwarzen Gewänder grotesk. Unsere Buße und unsere Entsagung waren witzlos, unser Glaube, dass wir Gott und dem Teufel dienten, war selbstgerecht, naiv und albern, unsere Organisation in dem heiteren, gottlosen Paris im Zeitalter der Vernunft ebenso widersinnig, wie sie meinem geliebten Marius sicherlich Jahrhunderte früher vorgekommen wäre.
    Lestat war immer der tolle Kerl, der lachende Raubritter, der, da er nichts und niemanden anbetete, bald schon Europa verließ, und sein eigenes, sicheres Territorium in der Kolonie New Orleans fand, in der Neuen Welt.
    Er hatte keine tröstliche Philosophie für mich, den Ordensvorsteher mit dem Kindergesicht, der, all seines Glaubens beraubt, aus dem düstersten Gefängnis gestiegen war, um sich der Mode des Zeitalters entsprechend zu kleiden und endlich wieder auf den Hauptstraßen zu wandeln, wie einst vor über dreihundert Jahren in Venedig. Und meine

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