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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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der Schnee begann zu schmelzen. Andere Unsterbliche schienen nicht in der Nähe zu sein. Ich wusste, dass das Schweißtuch vom Vatikan beansprucht worden war. Es gab also keinen Grund mehr für Unsterbliche, hier herumzulungern, oder?
    Arme Dora! In den Abendnachrichten wurde gesagt, dass sie ihr ihre Beute abgenommen hatten. Rom wollte das Schweißtuch untersuchen. Und ihre Geschichte über seltsame blonde Engel waren ein Fressen für die Sensationsblätter.
    In einem Anfall von Wagemut konzentrierte ich mich ganz fest auf Sybelles Musik, und dann sendete ich angestrengt mit schmerzendem Kopf eine telepathische Botschaft, als streckte ich einen Teil meines Körpers aus, eine mühsam gereckte Zunge, so dass ich durch Benjis Augen sehen konnte, direkt in das Zimmer, in dem sie saßen. Da war es, in lieblichen goldenen Nebel getaucht, ich sah die Wände mit den schweren, gerahmten Bildern, sah meine Schöne in ihrem kuscheligen, weißen Bademantel und den abgetragenen Hausschuhen, ihre Finger eifrig beschäftigt. Was für eine erhabene Tonflut! Und Benjamin, der kleine Krieger, lief auf und ab, kopfschüttelnd, mit gerunzelter Stirn, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, paffte er an einer schwarzen Zigarette und murmelte vor sich hin: »Engel, ich habe dir doch gesagt, du musst wiederkommen!«
    Ich lächelte. Prompt stachen die Kerben in meiner Wange, wie mit einem scharfen Messer durchbohrt. Ich verschloss mein telepathisches Auge. Ich ließ mich von dem rauschenden Crescendo der Klaviermusik einlullen. Benji hatte außerdem etwas gemerkt, sein von der westlichen Zivilisation noch nicht verbildeter Geist hafte etwas gespürt. Ich musste es gut sein lassen.
    Dann erreichte mich ein anderes Bild, scharf, etwas Außergewöhnliches, etwas, das man nicht übergehen konnte. Ich drehte den Kopf und ließ das Eis knisternd reißen. Ich hielt die Augen offen. Über mir sah ich verschwommen den Umriss aufragender Hochhäuser. Unten in der Stadt, weit entfernt von hier, wo die nun verschlossene Kathedrale stand, dachte ein Unsterblicher an mich. Tatsächlich spürte ich sogar die Anwesenheit von gleich zwei sehr mächtigen Vampiren, zwei, die ich kannte, zwei, die von meinem Tod wussten und ihn bitterlich beklagten, während sie mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt waren.
    Wenn ich versuchte, sie mit meinen telepathischen Kräften zu sehen, war das ziemlich riskant. Sie würden möglicherweise mehr als nur eine Spur von mir - die Benji schon so schnell erahnt hatte - auffangen. Aber soweit ich feststellen konnte, waren außer diesen beiden zurzeit keine Bluttrinker in der Stadt, und ich musste einfach wissen, wieso sie sich so zielstrebig und verstohlen bewegten.
    Etwa eine Stunde verging. Sybelle war stumm. Die beiden Vampire waren immer noch am Werk. Ich entschloss mich, es zu wagen. Ich schob mein geistiges Auge näher an sie heran und merkte sofort, dass ich den einen durch die Augen des anderen sehen konnte, aber es funktionierte nicht anders herum. Das konnte nur einen Grund haben. Ich verschärfte sozusagen die Einstellung. Ich sah durch die Augen Santinos. Mein alter Ordensmeister, Santino! Und der andere war Marius, mein Vater, dessen Geist für mich auf ewig verschlossen war. Ein riesiges, öffentliches Gebäude war es, in dem sie sich so vorsichtig fortbewegten. Beide in gediegenen, dunkelblauen Anzügen, verkörperten sie den modernen Gentleman bis hin zu den gestärkten Hemden und den leichten Seidenkrawatten. Damit sie vom Aussehen der hier Arbeitenden nicht abwichen, hatten sich beide die Haare gestutzt. Aber dieser Bau, in dem sie nun herumschlichen, gehörte keiner privaten Gesellschaft. Es war eine Art medizinisches Forschungszentrum. Und ganz eindeutig hatten die beiden jeden Sterblichen, der sie zu stören wagte, mit einem harmlosen Bann belegt. Bald konnte ich erraten, worum es ihnen ging.
    Sie durchstreiften die forensischen Labors der Stadt. Sie hatten sich zwar nicht beeilt, als sie diverse Dokumente in ihre schon ziemlich gefüllten Aktenkoffer packten, aber nun waren ihre Bewegungen schnell und gezielt. Sie entfernten aus mehreren Tiefkühlabteilen die Überreste der Vampire, die sich, meinem Beispiel folgend, der Sonne überantwortet hatten. Natürlich, sie beschlagnahmten, was die Welt von uns besaß! Sie sammelten die Überbleibsel ein. Aus sargähnlichen Schubfächern und glänzenden Stahlbahren packten sie die Reste in schlichte, knisternde Plastiksäcke. Ganze Knochen, Asche,

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