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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Last der Morgensonne emporgeschossen und dann gefallen war? Und wenn das alles gar nicht geschehen war, wenn ich diesen rachsüchtigen Bruder nicht ausgesaugt hatte, dann waren auch die beiden nur ein Traum, meine Sybelle und mein kleiner Beduine. O bitte, was war das für ein Horror? Die schlimmste Stunde der Nacht brach an. Dumpf schlugen Uhren in bunt getünchten Zimmern. Räder wühlten sich durch knirschenden Schnee. Wieder hob ich meine Hand. Wieder knackte und schnackte es, und zersplittertes Eis flog um mich herum.
    Ich schaute auf zu den klaren, funkelnden Sternen. Wie hübsch waren diese gläsernen Hochhaustürme mit ihren kleinen, goldenen Lichtquadraten, die in gleichen Reihen längs und quer geteiltdie luftige Dunkelheit der Winternacht durchschnitten! Und jetzt kommt der tyrannische Wind und pfeift durch die kristallenen Schluchten, weht über das kleine, ungemütliche Bett hinweg, in dem ein vergessener Dämon liegt, dessen große Seele zu den Wolken aufschaut, die das kühne Licht der Stadt dort unten widerspiegeln.
    Ach, ihr kleinen Sterne, wie sehr ich euch dafür gehasst und beneidet habe, dass ihr dort oben in der geisterhaften Leere doch so entschlossen eure Bahnen ziehen könnt.
    Aber nun spürte ich keinen Hass mehr.
    Mein Schmerz war wie ein Fegefeuer für jedes unwürdige Gefühl. Ich beobachtete, wie der Himmel sich bezog, sekundenlang herrlich wie ein Diamant aufglänzte. Dann saugte der weiche, grenzenlose Nebel das goldene Licht der Straßenlampen auf und schickte weiche, sanfte Flocken nieder. Sie fielen auf mein Gesicht, auf meine ausgestreckte Hand, die zauberischen Fleckchen bedeckten meinen ganzen Körper, bis sie leise zerflossen.
    »Und nun wird die Sonne kommen«, flüsterte ich, als spräche ich zu einem Schutzengel, der mich fest an sich drückte, »und selbst hier, hinter diesem verbogenen Stückchen Blech, wird sie mich finden und meine Seele in weitere Abgründe des Schmerzes stürzen.« Eine protestierende Stimme schrie laut auf. Sie bettelte darum, dass das nicht geschah. Meine eigene Stimme, natürlich, dachte ich, warum sollte ich nicht ein wenig Selbstbetrug üben? Ich wäre verrückt gewesen, wenn ich geglaubt hätte, diese Leiden noch länger ertragen zu können, dass ich sie ein zweites Mal hätte ertragen können. Aber ich schrie nicht. Nein, es war Benjamin, Benjamin, der betete. Mit meinem geistigen Auge sah ich ihn. Er kniete am Boden, während Sybelle, reif und üppig wie ein Pfirsich in ihren weichen, zerwühlten Kissen lag. »Ach, Engel, Dybbuk, hilf uns. Dybbuk, du bist einmal gekommen. Komm wieder her. Es macht mich verrückt, dass du nicht kommst.«
    Wie viele Stunden noch bis Sonnenaufgang, kleiner Mann, flüsterte ich in seine kleine Ohrmuschel, als wenn ich es nicht selbst wüsste. Er schrie auf. »Dybbuk«. Du bist es! Du sprichst zu mir. Sybelle, wach auf, Sybelle!«
     
    Denk nach, ehe du sie weckst. Ich habe einen ziemlich grausigen Auftrag für euch. Ich bin nicht das glänzende Wesen, das ihr gesehen habt, als ich euren Feind beseitigte und mich in ihre Schönheit und deine Begeisterung verguckte. Ihr trefft auf ein Ungeheuer, wenn ihr eure Schuld begleichen wollt, ich beleidige eure unschuldigen Augen. Aber sei sicher, kleiner Mann, dass ich dir für immer gehöre, wenn du mir diesen Gefallen tust, wenn du kommst und mir hilfst, denn meine Willenskraft lässt nach, und ich bin allein. Ich könnte wieder gesunden, aber ich bin hilflos, und meine langen Lebensjahre sind völlig nutzlos, und ich habe Angst.
     
    Er stand auf und starrte auf das Fenster, hinter dem ich ihn im Traum gesehen hatte. Wie er mit seinen Menschenaugen mich wahrnahm. Aber er konnte mich jetzt unmöglich sehen, denn ich lag auf einem Dach tief unter dem feinen Apartment, das er mit meinem Engel Sybelle teilte. Er straffte die schmalen Schultern, und als er nun die schwarzen Brauen in ernstem Grübeln runzelte, gab er genau das Bild des Engels auf einer byzantinischen Wandmalerei ab, ein Cherub, kleiner als ich selbst.
    »Sag wohin, Dybbuk, und wir kommen dich holen!«, verkündete er, dabei ballte er die kleine, kräftige Hand zur Faust. »Wo bist du, Dybbuk? Es gibt nichts, was wir nicht gemeinsam besiegen können, also hab keine Angst! Sybelle, wach auf. Sybelle! Unser göttlicher Dybbuk hat sich wieder gemeldet, und er braucht uns.«

21
     
    U nd dann kamen sie. Benjamin kannte das Haus, es lag direkt neben ihrem, ein zusammenfallender Schutthaufen. Mit ein paar

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